Die Wahrheit: Der Lumpen-Oscar
Begehrte Filmpreise: Am Sonntag fanden die Paralympics von Hollywood statt. Es wurden die Rag and Bone Awards vergeben.
![Ein Bär auf einer Wiese Ein Bär auf einer Wiese](https://taz.de/picture/1047496/14/GrizzlyWahr07032016.jpeg)
Was den Olympischen Spielen die Paralympics sind, ist dem Oscar der Rag and Bone Award, der Lumpen-Oscar. Auch er wird von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Los Angeles vergeben, allerdings sieben Tage später als das umjubelte Hauptevent. Von der Weltöffentlichkeit meist unbemerkt, werden auf der bescheidenen Party die wahren Helden der Branche geehrt.
Genau eine Woche nach den „großen“ Oscars feiern sie in der ehemaligen Kantine eines stillgelegten Güterbahnhofs in Hollywood-Nord. Am gestrigen Sonntag war es wieder so weit. Wie alle zehn Jahre wurde der Lumpen-Oscar an Crew-Mitglieder vergeben, die sonst im Schatten der Stars stehen. Ob Third Grip Assistant, Best Girl, Driver, Foodstylist, Dish Washer, Hurt Locker, Fluffer oder andere: Gestern war ihr großer Tag.
Es gibt Würstchen mit Kartoffelsalat, Erdnussflips und Dosenbier. Vorbildlich erweisen die Größen des Geschäfts den tapferen, kleinen Helfern, ohne die sie selber nichts wären, ihre Reverenz. „Screw the crew“, grüßt Jack Nicholson launig per Videobotschaft, Martin Scorcese hat einen Satz Pappteller und Plastikgabeln gestiftet, Cate Blanchett ein Glas Rollmöpse mit kaum abgelaufenem Verfallsdatum.
Ein greiser Moderator
Dann wird es spannend. Für den wichtigsten Award zieht der greise Moderator aus einem gebrauchten Briefumschlag (Spende von Brad Pitt) den Namen des besten Statisten: Es ist Lenny Howman, der im abschließenden Teil der „Hobbit“-Trilogie (2014) als einer von tausend Bogenschützen versehentlich den Zwergenkönig Drumpf erschießt und so einen komplett veränderten Plot erzwingt. Das ist vor ihm noch keinem anderen Komparsen gelungen. Beifall brandet auf, als Howman auf der aus Paletten improvisierten Bühne die Trophäe entgegennimmt, eine überfahrene Ratte aus Weißblech.
Erneut keinen Gewinner gibt es hingegen bei den Blockern, die am Set die Straße sperren und die Autos der Anlieger abschleppen lassen. Denn als für alle Zeiten unschlagbar gilt nach wie vor der Reichsfilmgauabsperrwart Horst Klötken, der für den unvollendeten deutschen Propagandafilm „Das Leben geht weiter“ (1944) die Dreharbeiten unter Einsatz seines Lebens gegen Störungen durch Fliegerangriffe verteidigte.
Dafür macht in der Kategorie des besten Tiercoachs ein aktueller Film das Rennen. Grizzlybärentrainerin Mirinda Velasquez gelang in „The Revenant“ (2015) das Kunststück, ihren Schützling Bruno darauf abzurichten, Leonardo DiCaprio exakt so schwere Verletzungen zuzufügen, dass die Wunden zwar entsetzlich aussehen, doch der Mime noch so eben überlebt. Nicht zuletzt diese Szene brachte DiCaprio nun endlich den lang ersehnten Oscar als bester Hauptdarsteller ein. Eine Pfote wäscht die andere.
Sieg des Körperdoubles
Wenig überrascht auch der Sieg des Körperdoubles Rob McKinsey, der in „Shame“ (2011) Michael Fassbenders Filmcharacter Brandon den Penis lieh und damit nach allgemeiner Kritikermeinung wesentlich zum Erfolg des Films beitrug: Mit der „Minimöhre“ (Cinema) des Hauptdarstellers hätte man das Publikum im Leben nicht bekommen.
Die Geheimfavoritin Mandy R. Meyer zog den Kürzeren. Ihr famoser Vulvastunt in „The Iron Lady“ (2011) hatte Meryl Streep als Margaret Thatcher bei ihrem Wimbledoner Umkleide-Quickie mit dem blutjungen Boris Becker (gespielt von Ben Becker) ein Denkmal der Sinnlichkeit gesetzt. Nach einem Rechtsstreit mit den Thatcher-Erben wurde die Szene jedoch gestrichen. Gerade für die fleißigen Bienchen hinter den Kulissen ist die Erfahrung, dass mit einem einzigen Schnitt Monate aufopferungsvoller Arbeit vernichtet werden, leidvoller Alltag.
Die Untersten der Unteren
Die Spannung in der Baracke sinkt analog zur Bedeutung der Preisträger – das ist leider auch nicht anders als bei den Großen. Denn selbst unter den Parias gibt es nochmals Unterprivilegierte. Der Low Sub, der den Kabelträgern unterm Lauf die Schuhe bindet, damit sie nicht stolpern; der Wiper, der den Diven nach erfolgtem Stuhlgang den Hintern abwischt; der Worst Boy, an dem sich Regisseur und Kameramann mit Ohrfeigen abreagieren; die Licht-, Ton- und Schattendoubles.
Als der beste Peeler, der im Catering-Mobil die Zwiebeln schält, den Preis entgegennimmt, will schon keiner mehr wissen, wie er heißt. Wo die Namen der anderen immerhin noch im Affenzahn übers letzte Ende des Abspanns huschen, während im Kinosaal längst das Putzlicht strahlt, wird der Peeler nicht mal eine Todesmeldung in den amtlichen Bekanntmachungen seines Heimatdorfs bekommen.
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