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Die WahrheitDer Geist der Weihnachtsspende

Kolumne
von Susanne Fischer

Jedes Jahr dieselben braven Vorsätze, wenn es um die guten Taten zum Jahresende geht. Aber was wird eigentlich aus den ganzen milden Gaben?

D ieses Jahr, das war mein Vorsatz, halte ich mein Beutelchen fest zugeschnürt. Eigentlich spende ich nämlich kurz vor Weihnachten noch mal so richtig mit Schwung, weil: a) Weihnachtsgeld, b) Steuervorteil, c) Hirnerweichung. Die hatte mich diesmal sogar schon im November erwischt.

Nichtsahnend saß ich in einem Berliner Hotelfrühstückssaal, als dessen einziger Vorzug die relative Ruhe erschien. Industriekäse und Büchsenobstsalat ruhten still und starr auf dem Buffet am ersten Adventssonntag morgens um acht, und ich war, da man als übergewichtiger Nichtflüchtling nicht unbedingt frühstücken muss, sehr zufrieden, bis es über mir „Krk!“ machte und mir aus einem verborgenen Lautsprecher „Last Christmas“ mit sämtlichen Strophen auf den Kopf fiel. Wham! Gerührt legte ich ein paar Münzen auf den Tisch und dachte darüber nach, wer in diesem Dezember mein schönes Geld bekommen soll.

Damit war ich nach einer Woche noch nicht fertig, denn täglich kamen neue Bettelbriefe verschiedenster Organisationen. Seltsame Krankheiten, Naturkatastrophen, ferne Kriege, Obdachlosigkeit vor meiner Haustür. Ich verzweifelte, bis mir in der Nacht zum Nikolaustag der Geist der vergangenen Weihnachtsspenden erschien. Er nahm mich stumm an die Hand und führte mich in die Dorfbibliothek vor ein paar schöne neue Bücher. Ich nickte zufrieden, denn ich erinnerte mich an meine Spende. Der Geist drehte mich sanft im Kreis herum. Außer der Bibliothekarin war niemand zu sehen. Der Geist sah traurig aus. Jetzt entdeckte auch ich die Spinnweben an den Bänden.

Der Geist zog mich weiter zum Freibad. „Es ist Dezember, natürlich ist jetzt niemand hier“, erklärte ich ihm gleich, denn ich wusste noch, dass ich Geld dafür gegeben hatte. Der Geist öffnete ein Display auf seiner Stirn, weil Geister nicht sprechen. „Besucherzahlen“ leuchtete in roter Warnschrift auf. „Mehr als letztes Jahr!“, rief ich. „Nicht genug, Zukunft ungewiss“, flimmerte es anklagend zurück.

Als Nächstes fand ich mich in einem Raum voll alter Herren mit Trompeten, Posaunen und Saxofonen. Eine Amateur-Bigband aus der Region, die seit 100 Jahren „Black Coffee“ spielt. „Das war ich nicht!“, sagte ich entsetzt. Das Display flackerte ein bisschen, dann stand da: „D-O-C-H! Und es ist Humbug!“ Der Geist kicherte.

Das also war aus meinen gutgemeinten Regionalspenden geworden. Schweißgebadet erwachte ich rasch, denn ich hatte Angst, dass der Geist mich als Nächstes mit nach Syrien nimmt und mir zeigt, wie trotz meiner Gabe dort Kinder sterben. Aber am Frühstückstisch verwandelte sich das hartnäckige Nachtgespenst in einen Artikel aus der Süddeutschen, in dem stand, dass humanitäre Spenden verbrecherische Regime stabilisieren, weil sie Hungeraufstände der leidenden Bevölkerung verhindern. Auf der Teekanne erschien in Leuchtschrift das Wort „ZYNISCH“. Ich nahm einen Stapel Überweisungsformulare und rannte, geistlos wie immer im Dezember, zur Bank.

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