Die Wahrheit: Auferstanden aus Ruinen

In einem politischen Tagebuch beschreibt Angela Merkel ihren ersten Tag als Bundeskanzlerin der neuen Volkspartei SPD.

Foto: Miriam Wurster

Freitag der 13., 4.55 Uhr

Weckruf! Schlummere wie stets noch fünf Minuten weiter. Punkt fünf bringt mir Joachim dampfenden Muckefuck ans Bett. Ach, nie haben wir Zeit für mehr … Das Gebräu habe ich urst nötig. Was aber auch für ein Eiertanz gestern im Reichstag. Doch hat es ja noch geklappt mit dem konstruktiven Misstrauensvotum! Wie weiland bei Schmidt, nur dass der damals nicht wie ich jetzt Kanzlerin geblieben ist und dazu die Partei gewechselt hat. Aber er war ja keine Frau, sondern Hanseat. Ich auch, aber dann bin ich in die DDR verzogen worden, was gut war, sonst hätte ich Joachim nicht kennengelernt. Und Lothar de Maizière auf keinen Fall.

5.10 Uhr

Katzenwäsche. Dass ich nicht schweißel, obwohl ich so viel unterwegs bin – hab echt Glück. Im Gegensatz zum dicken Gabriel, der roch streng gestern am Mikro: „Herr Bundestagspräsident, sehr verehrte Damen und Herren, meine Partei …“, Pause, „also, die SPD, kündigt die Große Koalition auf!“ Gelächter im Rund, alle gucken mich an, ich guck auf mein Blackberry. Ich wusste ja schon, was kommt. „Wir von der SPD haben uns mit der Linken und den Grünen verständigt, dass wir den CDU/CSU-Ministerinnen und Ministern unser Misstrauen aussprechen, weil – verarschen können wir uns selber!“

Der Lammert hat den Gabriel dann zur Mäßigung aufgerufen, aber der Gabriel hat weitergebellt und „Politikwechsel, jetzt!“ gerufen, und dass das hier alles im konstruktivem Rahmen bleibe, weil „Frau Dr. Merkel davon nicht betroffen ist“. In dem Moment hat sich die Bremse beim Schäuble gelöst und er ist voll mit seinem Rolli gegen die Regierungsbank gekracht.

5.35 Uhr

Beim Joggen zum Kanzleramt gedacht, dass ich früher damit hätte anfangen sollen, „kommt echt fresh“, würde LeFloid sagen. Wie meinte Ulbricht schon: „Jedermann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport!“ Meine Leibwächter sind auch nicht schlecht gebaut, fällt mir jetzt erst auf. Bitte Beate aus meinem Büro, dass sie Ersatz für meine Schlabbershirts besorgt. Für gestern Abend hatte ich extra keinen roten Blazer rausgelegt. Wäre billig gewesen. Trug ein maronifarbenes Teil, Intershop 1988, Lieblingsstück. Sind ja auch wieder angesagt die Achtziger, laut LeFloid.

Im Plenarsaal hab ich beim Schäuble erst die Bremse reingehauen, dann bin ich zum Rednerpult. „Liebe Kollegen, lieber Horst Seehofer, wir schaffen das als SPD. Wir haben sechs SPD-Minister, mit mir als Kanzlerin sind wir sieben, das reicht, durch den Winter und die Flüchtlingslage zu kommen. Im Frühjahr gibt es Neuwahlen, bis dahin eine Minderheitsregierung.“

Dann ging alles ruckizucki, hab noch in einer Simse erklärt, warum ich aus der CDU ausgetreten bin und in die SPD ein. Kernsatz: „Deutschland braucht eine handlungsfähige gesamtdeutsche Volkspartei: Die ist mit der CDU nicht zu haben.“

5.45 Uhr

Einmal Gummihupf mit mir selbst. Dass der Gabriel gestern noch gedacht hat, er bleibt Parteiboss – nun gut. Das hat ja bei Brandt und Schmidt schon nicht geklappt. Bei der Abstimmung waren 322 Stimmen für mich und unsere neue, kleine Regierung. Die Linken und die Grünen sind ganz schön blauäugig. Die werden sich noch umschauen! Parteidisziplin! Alle rein in die Sozialdemokratische Einheitspartei Deutschland! Wobei: eine Umbenennung in SDE, das wäre taktisch nicht klug.

Übrigens, liebes Tagebuch, ich glaube, de Maizière hat versehentlich auch für mich gestimmt. Der bringt ja gern was durcheinander, zuletzt bei den Subsidiären. Und ich steh dann dafür gerade, obwohl ich doch weiß, dass das alles nicht funktioniert mit dem „die Flüchtlinge zurücknehmen“ und so. Auch deshalb mache ich Schluss mit ihm und dem Rest der C-Truppe. Ich hab kein Bock mehr, dass man mich auflaufen lässt. Nur ums Röschen tut’s mir leid. Dem konnte man immer so urst eins über die Blüschen bügeln, und dann hat es immer so getan, als wenn es ihm nichts ausmacht.

6.00 Uhr

Ankunft Kanzleramt. Au backe, den Altmaier hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel! Gerade verabschiedet er seine Mutter, die ihm noch Stullen zusteckt. Ich beschließe, ihn auch in die SPD reinzuholen. Altmaier macht sofort rüber, als ich sage, „Bei dir ab jetzt wieder nur NSA und nix Flüchtlinge“ – weil das könne jetzt wirklich meine Migrationsbeauftragte, diese Özoğuz, übernehmen. Wozu habe ich die eigentlich? Und die ist ja auch bei mir in der SPD.

6.30 bis 14.30 Uhr

Was für ein Tag, liebes Tagebuch! Schlag auf Schlag: Alles, was sich in der SPD bis jetzt noch für wichtig hält, will zu mir. Nur Gabriel fehlt, angeblich hat er einen Deal in Nordkorea aufgetan. Oh, no! Aber erst mal spreche ich mit François in Paris. Er ist „gerührt“, mein Parteiwechsel sei das richtige Signal wegen Le Penida oder wie diese schlechten Deutschen hießen.

Broiler-Lunch mit Ralf Stegner und Thorsten Schäfer-Gümbel. Ich weihe die alten und neuen Vizeparteichefs in meinen Plan ein, Gabriel nach Ablauf der sechswöchigen Kündigungsfrist ins erweiterte Präsidium zu setzen. Minister kann er ja bleiben, die Wirtschaft flutscht und mit den Flüchtlingen bald noch besser. Stegner freut sich tierisch, der kann den Gabriel sowieso nicht leiden. Nächste Woche setzen wir uns zusammen wegen neuem Parteiprogramm und so. Die Ausrichtung der SPD nach links war viel zu lange blockiert. Schäfer-Gümbel meint nur, als neue, alte Kanzlerin erlange ich auch wieder die Richtlinienkompetenz. Endlich mal zwei vernünftige Männer!

15.00 Uhr

Auf dem Weg ins Willy-Brandt-Haus stoppe ich in der Bayerischen Landesvertretung bei der Komischen Oper. Seehofer macht mir persönlich und scheißfreundlich die Tür auf. „Jetzt bloß nicht den Kontakt abreißen lassen“, säuselt er. Will mich mit Bier abfüllen, „du wirst mich noch brauchen, Angela.“ Ich ordere einen kleinen Spezi.

15.50 Uhr

Ankunft im Willy-Brandt-Haus, ich überlege noch, welchen Spruch ich draußen als Banner aufhängen lasse: „Ohne Gott und Sonnenschein / bringen wir die Ernte ein“ oder doch besser „Wo ein Genosse ist, da ist die Partei – also die besseren Argumente!“ Ohne Sonnenschein ist zu trist, und ein paar Christen gibt es ja sogar in der SPD, also der zweite Spruch ist das bessere Argument. Erkenne ich gleich als Physikerin.

17.00 Uhr

Joachim und Mutti schauen in meinem neuen Büro, dem alten von Bahr, vorbei. Was für eine urste Überraschung! Herlind findet es knorke, dass ich jetzt in der SPD bin – da war sie auch mal drin in Templin. Hat Gutschein für Englisch-Konversationskurs bei ihr dabei.

18.00 Uhr

Andrea Nahles guckt rein, sie kann die Fahimi nirgends finden. Ich finde die auch komisch, und überhaupt: Jetzt, wo die Fahimi geht, wird der Generalsekretärsposten einkassiert. Die Beate, meine Büroleiterin, macht den ab jetzt vom Kanzleramt aus mit. Spart Geld. So was finden die Bürger gut.

21.00 Uhr

Heute mal seit Langem früh Feierabend! Fast alles in trockenen Tüchern, was die SPD, mich und Deutschland betrifft.

23.45 Uhr

Im Bett neben Joachim aufgeschreckt. Die Sache mit den Flüchtlingen, die macht mir doch langsam Sorgen. Der nächste Weckruf kommt bestimmt.

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