Die Wahrheit: Graue Engel im Eileinsatz
Verkehr der Zukunft: Im Ruhrgebiet gibt es bald wegen der wachsenden Zahl der Alten den ersten Rollatorschnellweg der Welt.
„Nehmen Sie mir das Wortspiel nicht krumm – aber ich sag mal: Da kommt richtig was ins Rollen.“ Irritationen bei den Journalisten, als Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) die ambitionierten Pläne für den RS1 vorstellt. Der deutschlandweit erste Rollatorenschnellweg soll in wenigen Jahren Städte des Ruhrgebiets miteinander verbinden.
Es geht um eine rund 100 Kilometer lange Trasse von Duisburg über Essen und Dortmund durch den Kreis Unna bis nach Hamm – komfortabel asphaltiert, breit genug für den gefahrlosen Begegnungsverkehr, nachts beleuchtet und lückenlos videoüberwacht. „Sicherheit und Bequemlichkeit sind für unsere Klientel das Wichtigste“, weiß Minister Groschek.
Peinliche Fehlplanungen
Der hat sein Haus angewiesen, peinliche Fehlplanungen der Vergangenheit rigoros zu korrigieren. Diese Planungen sahen einen Radschnellweg durchs Ruhrgebiet vor. Doch angesichts der demografischen Entwicklung sei ihm rasch klar geworden, dass für solcherlei „Fantastereien“ (Groschek) kein Platz sei im bevölkerungsreichsten Bundesland. Die Zahl der Alten steigt – laut seriösen Rechnungen wird es im Ruhrgebiet 2040 ausschließlich Rentner und Verwirrte geben. Eine „Fahrrad-Autobahn“ für dynamische Berufstätige muss vor dieser Kulisse als Anachronismus erscheinen.
Und tatsächlich munkeln Insider im Dortmunder Hanni’s Pilsstübchen, die SPD habe die „voll kranke Idee“ bloß für eine Weile pro forma verfolgt, um den grünen Koalitionspartner nicht zu verprellen. Dem sollen nun Zugeständnisse in der Energiepolitik reichen: Die Zechen sind längst dicht; jedes nach Süden gelegene Hausdach von mehr als 50 Quadratmetern unterliegt der Pflicht zur Erzeugung von überflüssigem Solarstrom, der über ein aufwendiges Netz ins physikalische Nirwana abgeleitet wird. „Hellas Ruhrpott – das deutsche Griechenland“, geißelte Bild vor Kurzem den ökonomischen Irrsinn. „Den Fehler, auf junge Leute zu schielen und vermeintlichen Fortschritt anzustreben, wollten wir bei der Verkehrspolitik nicht wiederholen“, sagt Ressortchef Groschek.
Der Sozialdemokrat im Düsseldorfer Kabinett hat eine Vision: „Unsere Seniorinnen und Senioren, die so vieles zum Aufbau des Landes beigetragen haben, sollen ihren Lebensabend fröhlich genießen“ – auf bequemen Wegen durch idyllische Industriebrachen und grüne Landschaften, gestützt auf ihr zuverlässiges, rollendes Vehikel. Infrastruktur gehört mit dazu, Imbissstationen mit Pürierservice, sanitäre Einrichtungen sowie ein Pannendienst, die „Grauen Engel“.
Spätes Trostpflaster
Fördermittel des Bundes sollen demnächst fließen, seinen Berliner Amtskollegen Alexander Dobrindt (CSU) hat Groschek längst auf seiner Seite: Als spätes Trostpflaster für den Christsozialen nach dem Scheitern seiner Autobahnmaut für Ausländer soll wenigstens auf dem Rollatorschnellweg die passende Vignette eingeführt werden – und zwar in Verbindung mit einem Ortungssystem. Der Chip für die Betagten soll ein schnelles Wiederfinden von Demenzkranken möglich machen. Schließlich ist Nordrhein-Westfalens Polizei es leid, wieder und wieder Hundertschaften und Hubschrauber einzusetzen, um verloren gegangene Ausflügler aufzufinden.
Minister Groschek selbst wird nächstes Jahr 60 – den RS1 will er bis zum Eintritt in den Ruhestand fertiggestellt wissen. „Meine Laufbahn endet mit einer Rollbahn.“ Die Medienvertreter quittieren den Satz abermals irritiert.
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