Die Wahrheit: Tee ist Scheiße
Wehe, jemand sagt etwas gegen das Nationalgetränk der Engländer. Wer den Tee schmäht, muss mit schweren Proteststürmen rechnen.
Der Engländer nimmt es persönlich, wenn man sein Nationalgetränk beleidigt. Nein, es geht diesmal nicht um lauwarmes, schales Bier, sondern um Tee. 165 Millionen Tassen von dem trüben Gesöff werden jeden Tag in England getrunken, 60 Milliarden im Jahr. Ein Engländer setzt reflexartig den Kessel auf, wenn es an der Tür klingelt. 14 Millionen behaupten, sie seien bis zur ersten Tasse Tee morgens zu nichts zu gebrauchen. Viele entwickeln einen regelrechten Hass auf Menschen, die ihnen eine schlechte Tasse Tee servieren. Wer Wasser in die Tasse gebe und erst dann den Beutel hineinwerfe, werde sofort aus dem Adressbuch gestrichen, sagte einer: „Der Geschmack einer schlechten Tasse Tee verfolgt dich ewig.“
Offenbar kann man beim Teekochen viel falsch machen. Die Königliche Gesellschaft für Chemie hat einen Leitfaden für die korrekte Zubereitung herausgegeben, das Britische Institut für Normen hat eine rivalisierende Anleitung veröffentlicht. Es geht dabei ums Prinzip: zuerst die Milch in die Tasse, wie George Orwell 1946 empfahl, oder zuerst den Tee? Wegen dieser Glaubensfrage sind in englischen Kleinstädten bereits Kriege ausgebrochen, Eltern haben ihre Kinder enterbt, Menschen verwüsteten im Schutz der Dunkelheit mit Heckenscheren den Nachbarsgarten.
Möglicherweise war das alles komplett für die Katz. Unter der Überschrift „Tee ist eine nationale Schande“ rechnet Joel Golby mit dem trüben Gesöff ab. „Tee ist Scheiße“, schreibt er. Akademiker haben neulich den ältesten Tee Großbritanniens ausgegraben und dadurch bewiesen, dass die Engländer seit mehr als 300 Jahren ganz furchtbare Tee-Langweiler seien.
„Wie sind wir bloß so geworden“, fragt Golby. „Niemand ruft: Moment mal, es ist bloß braunes Schmutzwasser, in das man einen Keks tunkt. Tee zu mögen ist der schlimmste englische Charakterzug, er steht auf der gleichen Stufe wie Kolonialismus und das Klassensystem.“
Die Nation heulte auf vor Wut. „Stirb gefälligst“ war noch der freundlichste Ratschlag auf der Kommentarseite des Guardian. Auf der Webseite der Anglo-Saxon Foundation, einer Herde homophober, rassistischer, antisemitischer Klotzköpfe, die sich nach England vor der normannischen Eroberung 1066 zurücksehnen, ging es weniger zivilisiert zu.
Ein gewisser Thegn rät dem Autor, den Tee mit Zyanid aufzupeppen, wenn er ihm nicht schmeckt: „Der Tipp des Tages für Perverslinge.“
Die Anglo-Saxons benutzen gern altenglische Wörter – zum Beispiel schreiben sie nicht „english“, sondern „englisc“. Tee ist genau so altenglisch, er wurde schon zu Zeiten der Römer genossen, wie man aus „Asterix bei den Briten“ weiß. Allerdings fehlten damals die Teeblätter, sodass man mit heißem Wasser und einem Tropfen Milch vorliebnehmen musste.
„Trinken sie ihre eigene Pisse im Guardian?“, fragt sich ein Huscarl, „oder ist das nur ein Gerücht?“ Er vergleicht den Autor mit Lord Haw-haw, der für den Nazi-Rundfunk arbeitete, und verlangt, dass Golby ebenso gehängt wird. Dabei wäre es Strafe genug, ihn zu zwingen, englischen Tee zu trinken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär