Die Wahrheit: Regretting Kitastreik
Seit in den Kindergärten der Arbeitskampf tobt, vermisst unser freier Autor den roten Faden in seinen Texten. Dafür sind die Kinder zuhause zu laut.
B uchstäblich windelweich kommt das neueste Quatschthema daher, das seit einer ganzen Weile in der Kategorie „First World Problems“ um unsere Aufmerksamkeit bettelt. Ausgehend von einer israelischen Studie reden plötzlich alle von „Regretting Motherhood“. Es geht um Mütter, die ihre Mutterschaft gern zurückgeben würden wie ein beschädigtes Paket von Amazon. Zumindest würden sie am liebsten „verbalisieren“, dass sie ihr kinderloses Leben vermissen. Sieh an.
„Nobody said it was easy“, damit gehts schon mal los. Wer glaubt, mit Kindern runde sich das bis dahin in Projekte fragmentierte Leben endlich zu einem wahrhaft gelungenen, irrt. Auch geht fehl, wer sich sein Dasein bis zum Ende als endlose Parade offener Optionen vorstellt, und seis mit eigenem Nachwuchs als sinnstiftendem Jackpot. Dem Gang der Dinge ist unser individuelles Glück herzlich gleichgültig. Ganz im Gegensatz zur Fortpflanzung als „natürlichem“ Sinn unserer Gattung. Ein Sinn freilich, dem der moderne Mensch sich bequem verweigern kann, um sich dann umso mehr an Fernreisen oder Mumpitz wie „Regretting Motherhood“ zu erbauen. Und genau das auch tun sollte.
Ich hingegen muss nicht einmal Mutter sein, um mir mein erzieherinnenstreikloses Leben zurückzuwünschen. Unter dem griffigen Motto „Regretting Kitastreik“ sei hiermit tabufrei verbalisiert, dass die ambulante Beherbergung eigener wie fremder Kinder in der Wohnung die Arbeit freischaffender Schreibkräfte beiderlei Geschlechts krass beeinträchtigt. Als Selbstständiger habe ich keinen verständnisvoll schmunzelnden Arbeitgeber, sondern humorlose bis aggressive Deadlines. Die vielleicht nicht volkswirtschaftlichen, aber doch intellektuellen Folgen sind verheerend.
Aufmerksame Leser werden bereits gemerkt haben, dass im vorliegenden Text noch kein klarer Gedanke gefasst, kein roter Faden verfolgt wurde. Was daran liegen könnte, dass gerade Nicky den Deckel unserer blechernen Mülltonne als Schlagzeugbecken verwendet, während Vera vom Klo her kommandiert, ich möge ihr umgehend den Hintern abwischen – und Emmy dazwischenquakt, sie erledige das schon, keine Sorge.
Ich sorge mich aber. Um die Vorhänge im Wohnzimmer etwa, die aussehen, als habe ein aus zahlreichen Stichwunden blutender Mensch noch im Fallen nach ihnen gegriffen. Um meine Anlage, deren beeindruckende Bässe gerade in den Dienst der Titelmelodie von „Bibi und Tina“ gestellt sind.
Meine jüngere Tochter raspelt Wachsspäne von der Kerze, um sie mit Wasser und Erdnussbutter zu einem Gift zu verrühren „für Hunde, die lieb aussehen, dann aber doch beißen“, derweil meine ältere Tochter mir zum x-ten Mal zubrüllt, ich solle den „Rücken gerade!“ halten, wenn ich am Rechner sitze, und warum ich da überhaupt immer sitze, Stichwort: „Regretting Daughterhood“.
Jetzt behauptet sie, mit vereinten Kräften könnten die kleinen Schisser meine Arme mit Schnürsenkln ..,SÖ.ölk#ylkybBIBIUNDTINA.
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