Die Wahrheit: Veganer Luxusmord

Alle Tiere haben eine Existenzberichtigung. Wirklich alle Tier? Auch Nacktschnecken?! Diese schleimig schäumenden Salatkeimlingvernichter?

„Das geht ja gar nicht!“, poltert Beate los, noch ehe sie sitzt. Dabei stiert sie auf unsere Teller, auf denen sich Berge unterschiedlichen Meeresgetiers türmen. „Und warum?“, fragt Sylvia seelenruhig. „Weil jetzt keine Saison für Muscheln ist?“ Verschwörerisch zwinkert sie mir zu und dippt eine Garnele in die Mayonnaise. Sie weiß, was ich weiß. Und beide ahnen wir, was nun kommen wird. „Für Muscheln sollte nie Saison sein!“, proklamiert Beate.

Sie lässt eine Pause in Erwartung eines Einwands, und da Gisela wohl noch nicht weiß, was wir wissen, erhebt sie den auch prompt: „Das mit den R-Monaten muss man nicht mehr so eng sehen. Muscheln werden heute gezüchtet und gut gekühlt verschickt.“ Beate lächelt zufrieden. Sie hat ihren Aufhänger. Vielleicht hätten wir Gisela vorwarnen sollen, denn es folgt, was in diesen Fällen immer folgt: die Mission.

Beate lebt jetzt vegan. Und wie alle, die etwas voll Überzeugung tun, neigt sie zu Worten mit Ausrufezeichen. „Achtsamkeit! Im Einklang mit dem Leben!! Niemand hat das Recht, Tiere auszubeuten!!!“ Ihre Stimme ist sakral.

„Gilt das auch für fiese Tiere?“, frage ich pietätlos. Denn obwohl ich mittlerweile bei Lammbraten meine miesen Karmapunkte zähle, kann ich weder Mücken noch Motten etwas Positives abgewinnen. „Es gibt keine fiesen Tiere!“, verkündet Beate. „Doch: Nacktschnecken“, prescht Gisela vor. Sylvia lacht auf, denn diese Geschichte kennen wir ebenfalls: die effektivsten Vernichtungsmethoden für ungebetene Mitesser.

„Alle Tiere haben eine Existenzberechtigung“, schnaubt Beate, „auch Nacktschnecken. Du musst einfach nur ein kooperatives Verhältnis zu ihnen entwickeln. Oder bist du unbeweglicher als ein kapitalistischer Großkonzern? Dein Garten ist riesig. Lern endlich teilen!“

Und wie alle Stürme, die unerwartet loslegen, fordert auch Giselas Konter Opfer. An der Stelle, wo sie wild gestikulierend beschreibt, wie die fiesen Schnecken die wehrlosen Salatkeimlinge niedergemampft hatten und zur Strafe schleimig schäumend in einer Bierfalle endeten, kippt versehentlich ihr Rotweinglas auf Beates weiße Bluse.

„Pass doch auf, du Trampel! Das geht nie wieder raus“, keift Beate. „60 Grad – und alles ist weg“, widerspricht Gisela und verteilt hilflos tupfend das Dilemma nur noch weiter. „60 Grad? Das ist Seide, verdammt!“, flucht die Vegane. „Kunstseide?“, fragt Sylvia gedehnt. „Nein, Bio, Fair Trade“, kommt die Antwort. Wir schweigen. „Irgendwas muss man sich doch gönnen“, erklärt Beate schließlich kleinlaut. Sylvia nickt bedächtig. „Klar. Etwas über tausend Schmetterlingspuppen, in heißem Wasser gebrüht, für eine einzige Bluse.“

Demonstrativ lässt sie die nächste Garnele im Mund verschwinden. „Na, dann doch lieber in Alkohol enden. Eine Runde Campari Orange, bitte!“ Sie schnipst in Richtung Kellner. „Aber in Campari sind doch Schildläuse drin. Für das Rot“, wirft Beate zögernd ein. „Nö“, grinst Sylvia, „denn die von Campari gönnen sich auch was: künstliche Farbstoffe. Zumindest die sind also voll vegan.“

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kari

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