Die Wahrheit: Angela Godot
Warum nur ist die Kanzlerin Angela Merkel eine solch zaudernde Person? Ein historischer Erklärungsversuch.
Wirft man Angela Merkel zu Recht immer wieder mangelnde Entschlussfreude vor? Ein Blick auf den Werdegang der Kanzlerin gibt womöglich Auskunft: An einem mal heiteren, mal wolkigen, teils regnerischen, lauwarmen Samstag im Juli 1954 kommt Angela Merkel nur aufgrund heftigen Drängens der Hebamme vier Wochen nach dem errechneten Geburtstermin in Hamburg zur Welt. Wenige Wochen später siedelt die Familie in die DDR um. Ohne einen eigenen Standpunkt zu formulieren, schließt sich Merkel dem an. *** In Reaktion auf eine kleine Anfrage des Vaters zieht die achtjährige Merkel in Erwägung, ihr erstes Wort zu sprechen, und entscheidet sich schließlich auch für eins. Sie will aber nichts überstürzen und behält es vorerst für sich. Knappe zwei Wochen später beantwortet sie die Anfrage schriftlich mit: "Mädchen." Der Vater nennt sie fortan Angela. *** An Merkels Lieblingswochentag, einem ganz schön gewöhnlichen Mittwoch, in ihrer Lieblingsstunde (Staatsbürgerkunde) schiebt ihr ein Mitschüler mutig einen Zettel zu: "Willst Du mit mir gehen? Ja / Nein / Vielleicht". Aufgekratzt schreibt die junge Angela dem Verehrer zurück: "Sind auch Mehrfachnennungen möglich?" Sie waren es nicht. *** Einmal verbringt Angela Merkel einen ganzen Nachmittag vor dem Regal im Konsum, nachdem der VEB Bautzen unangekündigt eine zweite Sorte Senf produziert hatte. Deswegen verpasst sie die Physik-AG und gerät in ein Treffen der Theatergruppe. Dort findet sie erstmals Geschmack an der Aufmerksamkeit anderer und wird Statistin. In ihrer Paraderolle als Godot ist sie heute noch Mitschülern unvergessen. *** Bei einem Oberstufen-Blitzschachturnier scheidet Angela Merkel wegen Figurproblemen noch vor der ersten Partie aus. Eine negative Erfahrung, der sie dennoch Positives abgewinnen will. Im Jahrbuch der EOS Templin gibt sie an: "Schwarz-Weiß-Denken ist nichts für mich, es überfordert mich offenbar." *** Die dritte Maiwoche des Jahres 1975 bleibt den Eltern Merkels als die Trotzphase ihrer kleinen Angela in Erinnerung. Montagmorgens schließt sich Merkel widerwillig einer radikalen Gruppe Agnostiker an und beteiligt sich Gott sei Dank nur mäßig an den Diskussionen. Als der Vater ihr am Freitagabend auf die Schliche kommt und sie zur Rede stellt, erbittet sie sich relativ wenig Bedenkzeit (Samstag, Sonntag). *** Eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen Angela Merkels während ihrer Studienzeit sind die Charade-Abende ihres zukünftigen Mannes, zu denen sie auch mal eingeladen wird. Zwar gehört sie in der Regel zu den Verlierern, doch hält sie einen Rekord: Es gelingt achtzehn verschiedenen Spielpartnern innerhalb der ersten zehn Sekunden, allein an ihrem Gesichtsausdruck "Die drei ???" zu erraten. *** In ihrer Diplomarbeit in Statischer Chemie aus dem Juni 1978 mit dem Titel "Der geringe Einfluß der räumlichen Korrelation auf die Reaktionsgeschwindigkeit bei bimolekularen Elementarreaktionen in dichten Medien" erreicht Merkel eine Reaktionsgeschwindigkeit von null. Die Arbeit wurde als "Unbedenklich mit Sternchen" bewertet. *** Als sich einmal in der DDR eine wirtschaftliche und politische Krise abzeichnet, die das ganze System infrage stellt, steht Merkel zufällig vor dem Gesetz (SED-Parteibüro) und bittet um Eintritt. Aber der Türhüter sagt, dass er ihr den Eintritt nicht gewähren könne, "grundsätzlich schon, jetzt aber nicht". Sie beschließt zu warten. Der Türhüter gibt ihr einen Schemel und lässt sie seitwärts von der Tür sich niedersetzen. Dort sitzt sie Tage und Wochen. Der Türhüter ist Stasi-Mitarbeiter und stellt immer wieder Verhöre mit Merkel an. Dann verschwindet der Türhüter plötzlich. Ein paar Monate später kommt zufällig Helmut Kohl des Weges und ist beeindruckt von den Aussitzfähigkeiten Angela Merkels und engagiert sie vom Fleck weg als Bundesministerin für Frauen und Jugend. Der Rest ist "Gechichte" (H. Kohl).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen