Die Wahrheit: "Deutsch macht Sinn!"
Deutschmeister Kevin Kirchbichler im Gespräch. Die deutsche Sprache hat definitiv ein Problem: den total zunehmenden Gebrauch von immer mehr Phrasen und Modewörtern.
"Die Menschen reden absolut wie Automaten", erklärt Kevin Kirchbichler, der Verfasser von dem ultimativen Ratgeber "Gutes Deutsch macht Sinn". Dem vorgestanzten Deutsch der Politiker und Politikerinnen im öffentlichen Raum erteilt er darin eine klare Absage, aber auch für den superinfantilen Jugendslang hat er null Toleranz.
"Ich will einfach allen Menschen lehren, wie wahnsinnig schön unsere Muttersprache ist", so Kirchbichler im Wahrheit-Interview. "Von daher sollten wir einfach mehr auf sie achthaben und nicht einfach gedankenlos drauflosreden, und wir sollten nicht immer wieder nur die ewig gleichen Redewendungen benutzen, und natürlich finde ich, auch die korrekte Grammatik ist natürlich wichtig, und ich denke mal, dass viele Menschen das sicher irgendwie auch so sehen", so der Sprachkritiker total offen und ehrlich.
"Dass wir den supergroßen Wortschatz unserer Sprache so derart vernachlässigen, ist völlig inakzeptabel", fährt er mit extrem erhobenem Zeigefinger fort. "Dabei wussten es einmal mehr schon die Lateiner: Variatio delectat, Abwechslung macht so froh. Statt ,ist inakzeptabel' kann man doch so vieles sagen: ,geht nicht in Ordnung' und ,finde ich verkehrt' und ,kann niemand gutheißen' und ,ist nicht zu billigen' und und und."
"Und: Es kann nicht sein!", ergänzen wir.
"Hundert pro! Es kann nicht sein, dass die so vielen und so extrem mannigfachen Synonyme, die das Deutsche kennt, immer mehr total ignoriert werden!", ruft Kevin Kirchbichler und schlägt bei jedem Wort mit der Hand immer wieder auf den Tisch: "Ich habe dafür in keinster Weise Verständnis. Sie etwa?"
"Nein, nicht wirklich", nicken wir zustimmend.
"Dabei bin ich mir voll im Klaren", zupft Kirchbichler in echt an seiner Nase, "dass wir die Sprache von Goethe und Schiller heute definitiv nicht mehr sprechen können. Okay, ja gut, an dem gepflegten Deutsch von ihnen ist schon was dran, keine Frage. Bingo! Aber in den 200 Jahren hat sich nun mal superviel getan. Ich habe von daher absolut kein Problem damit, dass denen ihr Deutsch von wegen dem großen zeitlichen Abstand heute echt kein Thema ist."
"Okay … aber woran soll man oder frau sich denn dann halten?", hinterfragen wir.
"Die Menschen müssen einfach lernen, sich in der Sprache wieder irgendwo ein Stück weit individuell auszudrücken. Die Sprache ist doch schließlich immer noch ein Spiegel der Persönlichkeit, aber hallo! Einfach nur immer wieder dieselben Phrasen und Hohlwörter und Nullsätze einmal mehr aneinanderzureihen, das kann es doch nicht sein, oder?"
Kirchbichler streicht sich mit der Rechten voll unter die linke Achsel, führt die Finger an die - "Nee, ne?", schießt es mir durch den Kopf - und nimmt einen total tiefen Atemzug. "Aaaah! Wir alle müssen uns einfach extrem mehr Mühe geben insofern, als dass wir das treffende Wort finden und einen richtigen Satz oder so bilden. Ist doch so, oder?"
"Wegen mir gerne."
"Obwohl", gesteht Kirchbichler total freimütig, "ich weiß natürlich auch: Gutes Deutsch macht vielleicht am Anfang bestimmt Stress! Aber im Endeffekt eben auch megaviel Spaß."
"Auf jeden Fall!", hören wir uns total zustimmen.
"Super, dass das okay für Sie ist! Aber leider immer nicht für alle, im Gegenteil. Ich mein, es ist für mich absolut nicht nachvollziehbar", ruft Kirchbichler, bohrt gedankenverloren mit dem Zeigefinger in der Nase - "Hallo?!", denke ich irgendwie - und lutscht ihn ab, "dass die BürgerInnen einfach kein Feeling für Sprache haben. Von daher hat es oberste Priorität, den Sinn für den Reichtum, die Klarheit und die Anschaulichkeit der deutschen Sprache ultimativ zur Geltung bringen. Zu dieser Alternative gibt es keine Alternative!", so der Sprach-Profi, der unlängst den "Jacob und Wilhelm Grimm Award" ins Leben gerufen hat.
Kevin Kirchbichler arbeitet hart, daran gibt es null Zweifel. Und er ist auf einem guten Weg. Wer so uncool ist, ihn davon abbringen zu wollen, für den hat er immer nur einfach zwei Worte: "Keine Chance!", sagt er dann im Grunde. Klar weiß er, dass nichtsdestotrotz extrem viel zu tun ist, bis dass das Umdenken einsetzt, und zwar nachhaltig und zeitnah. "Oder umgekehrt!", so Kirchbichler, der sich viel von der Zukunft erwartet. Zumal weil er weiß, dass in der globalisierten Welt auch eine jahrzehntealte Sprache wie Deutsch sich neu sortieren muss, um gut aufgestellt zu sein.
"Wenn es mir gelingen würde, dass die Deutschen ihre Sprache mehr lieben würden, so würde das für mich ein echtes Highlight sein!", ruft Kevin Kirchbichler aus und würde sich fast im Schritt gekratzt haben, wenn ihm durch meinen irgendwie irritierten Blick nicht irgendwo deutlich geworden sein würde, dass er seine Performance in Sachen Würde ultimativ verbessern muss. Egal: Auch so war dieses Gespräch ein Höhepunkt, ja ein Meilenstein im Kampf für gutes Deutsch. Wenn nicht irgendwie sogar der Gipfel! Oder?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku