Die Wahrheit: Der Reiz des Korns
Jetzt spricht der Hahn der Bremer Stadtmusikanten.
Endlich ist die lange mit Spannung erwartete Autobiografie eines der vier wichtigsten Mitglieder, der ehemals zu Recht berühmten, später allerdings nur noch berüchtigten Band "Die Bremer Stadtmusikanten" auf dem Markt. Ihr Verfasser, der Hahn, nimmt darin kein Blatt vor den Mund und gibt erschreckende Einblicke in das Innenleben einer Musik-Combo, die sich der Öffentlichkeit anfangs nur zu gern als nahezu klinisch sauber darstellte.
In "Korn" geht es um Eitelkeiten, Drogen, gelegentlich um Sex, um Ekstase, Delirium, Koma und Wahnsinn - vor allem aber geht es um den Niedergang einer einst gefeierten Truppe, die von dem plötzlichen Ruhm und dem Reichtum überfordert war und schnell in den Malstrom von Geldgier und Geschäftemacherei hinabgezogen wurde.
Dabei geht der Hahn nicht nur mit seinen drei Bandkameraden hart ins Gericht, er schont auch nicht sich selbst und beschönigt nichts.
Ein paar ausgewählte Zitate und Auszüge geben einen kleinen Vorgeschmack auf das Leseerlebnis, das einen oftmals zwischen hysterischem Gelächter und entsetzter Sprachlosigkeit in der Schwebe lässt:
"Der Esel war schon immer ein infantiler, nichtsahnender Idiot. Lieb, aber doof. Für eine Hand voll Leckerlis hat er sich oft vor der ganzen Crew derart zum Affen gemacht, dass es einem schon fast peinlich war, mit ihm in einer Band zu sein. Richtig schlimm wurde es, als er irgendwann seine Sucht nicht mehr kontrollieren konnte. Sein persönlicher Betreuer musste immer mehr Leckerlis in ihn hineinstopfen, um den Blödmann überhaupt zu einem Auftritt motivieren zu können. Dabei bestand immer die Gefahr, dass der Esel während der Show das ganze Zeug nicht mehr halten konnte und vor aller Augen auf die Bühne kackte. Und musikalisch - na ja … Dem Trottel ist nie klar gewesen, dass er nur im Team war, um uns anderen zu tragen. Der hielt sich tatsächlich für einen echten Musiker."
Auch für den Hund findet der Hahn in seinem Buch nur wenig freundliche Worte: "Der stinkende Köter war im Grunde seines Herzens ein durch und durch verklemmter Spießer mit kleinem Pimmel und wenig Hirn, das versuchte er immer durch sein großkotziges Auftreten zu verstecken. In manchen Nächten schleppte er bis zu drei Groupies auf einmal ab, das waren teilweise noch fast Welpen, einfach widerlich. Er und die Katze hatten dann irgendwann einmal die furchtbare Idee, sich während einer Show auf die Bühne zu setzen und sich synchron die Genitalien zu lecken, das fanden die dann ,cool'. Wenn wir auf Tour waren, schloss sich der Köter oft stundenlang auf dem Busklo ein und heulte wie ein Schlosshund, weil er sich nach seiner Mutter sehnte. Und irgendwann begann er, dieses Heimweh mit Hundekuchenkonsum zu bekämpfen. Der war oft tagelang ununterbrochen auf Hundekuchen, dann war er kaum ansprechbar. Musikalisch war er auch eine Katastrophe, er war eh nur im Team, um mich und die Katze zu tragen."
Und beim Thema Katze kann der Hahn nun gar nicht mehr an sich halten: "Ich war immer, von Anfang an, gegen Frauen in der Band. In der Crew sind ein paar hübsche Mädels durchaus okay - schön fürs Auge und auch sonst akzeptabel. Aber in der Band? Das bringt nur Ärger, das habe ich den anderen von Anfang an gesagt. Und kaum waren wir etwas bekannt geworden, ging es auch schon los: Plötzlich kam Madame auf die Idee, ich müsse beim Auftritt unter ihr stehen und sie tragen, weil sie das wichtigste Bandmitglied sei. Um das durchzusetzen, versuchte sie ständig, den Esel und den Hund gegen mich auszuspielen - aber die waren natürlich viel zu blöd, um das überhaupt zu bemerken. Als die Schlampe merkte, dass sie damit nicht durchkam, verpestete sie immer weiter die Stimmung in der Truppe. Oft streunte sie nächtelang herum und tauchte dann irgendwann abgemagert, mit struppigem Fell und diesem spezifischen Geruch wieder auf, der verriet, dass sie es wieder hemmungslos mit irgendwelchen herrenlosen Straßenkatern getrieben hatte. Das war auch die Zeit, in der sie anfing, ihre Brekkies zu feinem Pulver zu zerstampfen und sich durch die Nase zu ziehen."
Aber sich selbst schont der Hahn fairerweise auch nicht: "Anfang 1965 fing ich an, Korn zu saufen, eine inzwischen lebenslange Angewohnheit, die meine Wahrnehmungsfähigkeit verstärkte. Manche Erzählung über meine nächtlichen Eskapaden glaube ich nur, weil es davon Fotos gibt. Ein Foto zeigt mich, wie ich in meiner Garderobe mit den Beinen nach oben rücklings in einer Kornlache liege - heute ist mir das peinlich. Sicher habe ich auch den Fehler gemacht, mein Talent an diese Banausen zu verschwenden - es war der Reiz des schnellen Geldes, des Luxus, des Ruhms. Ich habe einfach viel zu spät gemerkt, dass die anderen mich in den Abgrund mit hinunterziehen."
Nach Informationen des Rolling Stone strebt der Hahn derzeit eine Solokarriere an, er soll bei Universal Music unter Vertrag stehen.
"Korn". Ullstein Verlag, Berlin, 780 Seiten, 29,90 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag