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Die WahrheitLang lebe Willies Leber!

Ralf Sotscheck
Kolumne
von Ralf Sotscheck

Helena war recht niedergeschlagen. Ihr Sohn Philip stecke in der Klemme, und zwar in einer finanziellen, sagte sie. Es hatte schon Weihnachten begonnen.

H elena war recht niedergeschlagen. Ihr Sohn Philip stecke in der Klemme, und zwar in einer finanziellen, sagte sie. Es hatte schon Weihnachten begonnen. Philips Schwiegervater Willie ist Alkoholiker und Witwer. Er lebt bei Philip und seiner Frau Jenny, darf dort aber keinen Alkohol trinken. Am Heiligabend holte er sich seine Weihnachtszulage vom Sozialamt und schlich sich in einem unbeobachteten Moment aus dem Haus. Gegen drei Uhr nachts kam er sturzbetrunken nach Hause. Am nächsten Morgen kam Helena zu Besuch, um mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter Weihnachten zu feiern.

Als Willie die Türklingel hörte, sprang er aus dem Bett und lief die Treppe hinunter. Weil er aber längst noch nicht ausgenüchtert war, stolperte er und fiel kopfüber in die Tiefe. Dabei knackste er sich einen Halswirbel an.

Im Krankenhaus steckten sie seinen Kopf in ein Metallgestell und riefen dann die Familienangehörigen zusammen. Aufgrund seines schlechten Allgemeinzustands und der jahrzehntelangen Misshandlung der Leber müsse man mit dem Schlimmsten rechnen, sagten die Ärzte. Sie gaben Willie noch einen Monat, höchstens zwei.

Philip und Jenny kam eine Idee. Wenn Willie noch schnell einen Kredit aufnähme, müsste der nach seinem Tod nicht mehr zurückgezahlt werden. Eine Bank käme dafür freilich nicht in Frage, denn die würde sich genauestens nach Willies Gesundheitszustand erkundigen. Bei einer Credit Union, einer Art Raiffeisenbank, war man nicht so pingelig. So montierten sie Willie das Metallgestell ab, steckten ihn in seinen besten Anzug und schminkten ihm etwas Farbe ins graue Gesicht. Dann gaben sie ihm ausnahmsweise einen dreifachen Whiskey, damit er nicht so zitterte, und schärften ihm ein, in der Credit Union so wenig wie möglich zu reden.

Willie hielt sich daran, und so bekam er 5.000 Euro – angeblich für eine Knieoperation. In Wirklichkeit kauften sich Philip und Jenny einen neuen Fernseher und verprassten den Rest des Geldes mit ihren beiden Kindern in Legoland. Willie hatten sie für die Zeit bei Jennys Schwester Karen abgegeben. Als sie nach zwei Wochen zurückkehrten, war Willie geradezu aufgeblüht. Karen war nicht so streng und hatte ihm seinen Whiskey genehmigt. Die Ärzte sprachen von einem Wunder und räumten ein, dass sie bei der Diagnose offenbar zu schwarz gemalt hatten. Selbst die Leber habe noch Alkoholkapazitäten frei.

Philip und Jenny waren entsetzt. Wie sollten sie nun den Kredit zurückzahlen? Sie mussten auf alle Fälle Willie zurückholen, damit sie wenigstens das Pflegegeld kassieren konnten. Aber Karen wollte ihren Vater nicht mehr herausrücken, weil sie ebenfalls scharf auf das Geld war. So wartete Philip ab, bis Karen ihre Sozialhilfe vom Amt abholte, und entführte Willie. Der war davon gar nicht begeistert, weil er wieder mit Alkoholverbot belegt wurde. So büxte er nachts, als alle schliefen, aus und zog zu Karen, die ihm zur Begrüßung einen Whiskey anbot. Der Streit um das Sorgerecht für Willie wird inzwischen vor Gericht ausgetragen.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

1 Kommentar

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  • D
    Danke

    Die beste Satire ist das wirkliche Leben! Schade, daß gerade ich nicht so darüber lachen kann, wo ich doch mal so gerne lachen können würde. In Würde.