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Die WahrheitEin doppelter Diebstahl

Kolumne
von Michael Sailer

Schwabinger Krawall: Polizeiobermeister Stanggradl staunt, als am Montag früh ein höchst erregter katholischer Mesner vor ihm steht: Er habe einen Diebstahl zu melden.

P olizeiobermeister Stanggradl staunt, als am Montag früh ein höchst erregter katholischer Mesner vor ihm steht: Er habe einen Diebstahl zu melden, bei dem es sich zudem um Gotteslästerung handle.

Stanggradl staunt über die Alkoholfahne des Mannes und die Tatsache, dass er überhaupt auf der Wache erschienen ist, wo er doch vor einer halben Stunde von einem Taxifahrer selbst angezeigt worden ist – wegen Diebstahl.

Er, sagt der Mesner, habe nach dem Spätgottesdienst den goldenen Messkelch und zwei silberne Kerzenständer mit nach Hause genommen, um den Kelch endlich gründlich zu putzen, weil sich der Herr Pfarrer seit Wochen beschwere, das Blut Christi schmecke derart penetrant nach Rost und Weinstein, dass er es kaum noch hinunterbekomme.

Die Kerzenständer seien von dem billigen Stearin so verwachst, dass er die Kerzen mit geschmolzenem Wachs und Streichhölzern festkleben müsse, und er habe keine Lust, dass ihm eines Tages wegen einem ungünstigen Windstoß über Nacht die Kirche abbrenne.

Am gestrigen Abend sei er jedoch nicht direkt heim, sondern erst noch zum Starkbier gegangen, und da habe man ihm offenbar was ins Bier getan und seine edelmetallenen Güter entwendet; heute früh sei er mittellos und mit titanischem Kopfweh daheim aufgewacht.

Was POM Stanggradl dem Mesner erzählt, weist gewisse Übereinstimmungen mit dessen Bericht auf, endet jedoch anders: Der erwähnte Taxifahrer habe ausgesagt, ihm sei gegen Mitternacht eine schwerst betrunkene Person mit einem viertelvollen Maßkrug sowie einer Plastiktüte ins Auto gestiegen, habe nach vergeblichen Versuchen, ein Fahrtziel anzugeben, ihn mit „da links“, „da rechts“ und anderen Murmeleien durch Schwabing bis ins Hasnbergl und über einen Umweg nach Fröttmaning endlich doch in die Kaiserstraße gelotst, dann aber festgestellt, dass er die 62 Euro für die Irrfahrt nicht bezahlen könne, weil er nur noch 30 Cent in der Tasche habe.

Da habe der Mann aus seiner Tüte eine ramponierte antike Vase gezogen und ihm als „Pfand“ angeboten. Er habe das Stück sowie zwei grundhässliche Kandelaber angenommen, jedoch nicht in hehlerischer Absicht, sondern um sie sicherzustellen, und erstatte Anzeige gegen den Herrn, der so besoffen gewesen sei, dass er ihm sogar noch Namen und Telefonnummer genannt habe.

Der Mesner ist peinlichst berührt, als ihm POM Stanggradl Plastiktüte und Adresse des Taxifahrers übergibt, das Protokoll in den Papierkorb wirft und ihm erklärt, ins Starkbier werde allerdings etwas getan, nämlich eine gehörige Zusatzportion Stammwürze, die aber traditionsgemäß hineingehöre, wohingegen ein Mesner mit Tüten voller wertvollem Kirchengut im Wirtshaus eher wenig verloren habe.

Noch vehementer errötet der Mesner, als er feststellt, dass der Taxifahrer den Kelch auf Hochglanz poliert und die Kerzenständer entwachst hat. Die freudige Ankündigung, die ihm auf der Zunge liegt, dass er diesen Pfundskerl auf eine anständige Maß Bier einladen werde, verkneift er sich dann aber doch.

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