Die Wahrheit: Trinken und Schmettern
Neues aus Hannover: Für mich war die Entscheidung vor drei Jahren, nach Hannover zu ziehen, eine durchaus schlüssige. Ich habe sie bis jetzt nicht bereut.
F ür mich war die Entscheidung vor drei Jahren, nach Hannover zu ziehen, eine durchaus schlüssige. Ich habe sie bis jetzt nicht bereut. Aber welche Häme bezüglich meiner neuen Heimatstadt schlägt mir seitdem entgegen? Das Spektrum reicht vom Ehrentitel „Stadt mit dem gewissen Nichts“ bis zum Bonmot des Bezahlfernseh-Moderators H. Schmidt (55), Hannover sei zwar nicht der Arsch der Welt, aber man könne ihn von dort aus sehr gut sehen.
Alles Unsinn. Denn in diesen Pointen steckt ja vor allem die Behauptung, in Hannover passiere nichts. Die Medienberichterstattung der letzten Jahre über Ereignisse mit Hannover-Bezug zeichnet jedoch ein anderes Bild. Hier nur ein paar Ausschnitte: Die Bundesbischöfin fährt hackedicht durch die Stadt und tritt zurück, ein Bundestorwart erliegt seinen Depressionen, der Bundespräsident lässt sich Bobbycars schenken und muss zurück nach Großburgwedel, FDP-Rösler stürzt seine Partei in den Abgrund, der ehemalige AWD-Chef Carsten Maschmeyer rasiert sich seinen Schnäuzer ab und keiner bemerkt es, weil er – um den Kollegen Fuhrhopp zu zitieren – „immer noch so aussieht, als hätte er einen“. Vom örtlichen Hells-Angels-Chef soll erst gar nicht die Rede sein. Nach Langeweile klingt das alles nicht. Eher nach der dunklen Seite der Macht.
Deswegen wird es endlich Zeit für gute Nachrichten aus Hannover: Bei mir um die Ecke gibt es einen neuen Trend! Hier im Stadtteil Linden haben eine Gruppe dem Alkohol zugeneigter Menschen mit viel Tagesfreizeit eine neue Existenzform entdeckt. Früher saßen sie den ganzen Tag trinkend auf einem Parkbank-Ensemble und taten das, was Menschen in solchen Situationen so tun: plappern, grölen, mal aufstehen und in die Büsche urinieren … Nix Schlimmes, aber auch nichts besonders Erfreuliches.
Irgendwann muss dann aber wohl einer von ihnen die steinerne Tischtennnisplatte nebenan entdeckt haben. Keine Ahnung, woher auf einmal die Schläger kamen, aber eines Tages hörte ich das Klackern eines Balles. Ja, eines Tages begannen die Trinker zu spielen: Einzel, Doppel, Rundlauf – „China“, wie wir früher sagten. Ganze Turniere scheinen sie auszutragen. Vermutlich gibt es sogar Siegerehrungen. Zwischendurch sitzen sie wieder und trinken.
Diese neuentdeckte Tischtennisleidenschaft meiner Mitbürger scheint mir doch wirklich sehr vernünftig zu sein. Körperliche Betätigung ist gut für das Herz-Kreislauf-System, die Zeit vergeht schneller als zuvor und augenscheinlich wird sogar weniger getrunken und gestritten. Vermutlich wurde in dem einen oder andern Turnierteilnehmer der sportliche Ehrgeiz geweckt – und dass man einen Topspin nüchtern besser platzieren kann als knülle, ist ja eine Binsenweisheit unter Street-Pingpongern.
Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob es die Doppeldisziplin „Trinken und Schmettern“ andernorts nicht auch gibt. Falls doch, sind wir hier in Hannover wenigstens vollkommen „state of the art“, falls nicht, wäre das doch eine schöne Kampagne fürs örtliche Stadtmarketing …
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