Die Wahrheit: Der Berliner Berg ruft
Man muss etwas tun, was sich bisher noch kein Bergsteiger getraut hat. Ich beschließe, die zehn höchsten Berge Berlins zu bezwingen.
B ergsteiger haben einen Knall. Sie suchen nach immer neuen Rekorden, unter ihnen herrschen Eifersüchteleien, Streit und Verleumdungen. Aber sie verdienen eine Menge Geld mit ihrer Kletterei. Wer jedoch heute davon leben wolle, sagte Bergsteiger Christian Stangl dem Spiegel, „für den zählt nur noch der Superlativ.“
Das bringt mich auf eine Idee. Man muss etwas tun, was sich bisher noch kein Bergsteiger getraut hat. Mein Heimaturlaub in Berlin ist eine gute Gelegenheit dafür. Ich beschließe, innerhalb einer Woche die zehn höchsten Berge der deutschen Hauptstadt zu bezwingen. Zum Warmmachen suche ich mir einen Sechstausender aus – den Kreuzberg. Er ist 6.610 Zentimeter hoch.
Zwar ist er damit nur die Nummer 36 unter den höchsten Bergen, doch von unten sieht er recht mächtig aus. Ich will die Nordwand erklimmen und schlage mein Basislager am Wasserfall auf. Am nächsten Morgen ruft der Berg. Oder ist es der Biergarten Golgatha auf dem Gipfel? Das Gelände ist steil, mein Weg führt durch die felsige Wolfsschlucht. Nach einer halben Stunde ist es geschafft. Ich bin bereit für größere Aufgaben.
Die Nummern neun und zehn – Deponie Wannsee und Deponie Arkenberge – lasse ich weg. Wer will schon auf eine Müllhalde klettern? Ich fange lieber mit meinem ersten Zehntausender an, dem Kienberg in Marzahn, 10.220 Zentimeter hoch. Aber ich finde ihn nicht, die Sicht ist durch die DDR-Hochhausplattenbauten versperrt. Ich kann meine Zeit nicht mit dem Suchen von Bergen verplempern und kürze die Sache ab. Ich nehme gleich den König der Berliner Berge in Angriff: den Teufelsberg, 12.010 Zentimeter hoch.
Die Sache ist riskant, das ist mir klar. Kurz vor dem Gipfel setzen bei mir Kopfweh und Übelkeit ein – erste Anzeichen für die Bergkrankheit, wie ich bei meiner intensiven Vorbereitung gelernt habe. Der Mediziner Oswald Oelz, der Reinhold Messner bei dessen erster Tour zum Mount Everest ohne Sauerstoffgerät begleitet hat, erzählte dem Spiegel: „Zunächst einmal kommt der Körper in Stress, weil er mit niedrigem Sauerstoffdruck konfrontiert wird und sich anpassen muss. Er fängt an zu hyperventilieren, atmet schneller und versucht, das Sauerstoffdefizit zu kompensieren. Steigt man zu schnell auf, kann sich der Mensch nicht genügend an die neue Höhe und den Sauerstoffmangel gewöhnen.“
Ich mache vorsichtshalber eine Pause. Nach zwei Stunden geht es weiter, die letzten 2.000 Zentimeter bewältige ich ohne Probleme und hisse eine kleine irische Fahne auf dem Gipfel.
Die Bayern mögen lästern, da ihre Berge etwas höher sind. Aber diese Berge waren einfach da. Wir Berliner mussten sie uns erst bauen. Von den zehn höchsten Hauptstadtbergen sind sechs künstlich.
Sponsoren habe ich leider nicht gefunden, aber immerhin winkt mir ein lukrativer Buchvertrag. Vermutlich wird meine Expedition später sogar verfilmt – von Steven Spielberg, schon wegen seines Namens. Ingmar Bergman ist ja bereits tot. Messner, Stangl, Edmund Hillary und Luis Trenker können einpacken.
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