Die Wahrheit: Tanz mit Sprühsahne
Neues aus Neuseeland: Endlich einmal beeindrucken die Kiwis die ganze Menschheit, denn sie twerken sich durch sämtliche Kanäle dieser Welt.
Z wei Monate war ich außer Landes und habe so einiges verpasst: Milchpulverskandal, Erdbeben, Kim Dotcom als Anti-Spionage-Volksheld, die erste Schwulenehe und die Einweihung der neuen Papp-Kathedrale in Christchurch. Meilensteine. Aber zum Glück bin ich rechtzeitig gelandet, um noch live zu erleben, welche internationalen Nachrichten wir Kiwis derzeit produzieren. Sofort gucken, bevor YouTube unsere Exzesse löscht!
Es zieht einem buchstäblich die Schuhe aus, so sehr steckt es an: Kiwis stehen überall auf der Tanzfläche oder zucken vor der Kamera. Endlich sorgen wir mal für Schlagzeilen, in denen weder Schafe noch Hobbits vorkommen. Was ist da bloß passiert, als ich fort war? Es wird gesteppt, gestampft, getwerkt und die ganze Welt schaut zu. Wie in dem Ohrwurm der Killers frage ich mich, Aotearoa: „Are we human – or are we dancer?“
Vorige Woche ging es los. In Washington wurde für Martin Luther Kings Traum marschiert, und wer sprang zu seinen Ehren halbnackt in Lendenschurz, mit Federn und Tätowierungen auf den Stufen des Lincoln Memorials herum? Martialische Haka-Tänzer aus Neuseeland. Nicht irgendwelche, sondern eine Truppe der „Destiny Church“. Die ist zwar fest in Maori-Hand, aber leider eine antiaufklärerische und schwulenfeindliche Sekte, deren geldgeiler Oberguru wie ein Fernsehprediger nach amerikanischem Vorbild agiert. Was irgendwie ja passt, auch wenn schwarze Bürgerrechtler wohl von was anderem träumten.
Die weniger Politischen verfolgten lieber die MTV Video Music Awards und wissen nun, was „Twerking“ ist. Und welche Porno-Verrenkungen Miley Cyrus in hautfarbener Wäsche mit Pappfinger hinlegen kann. Hannah Montana wäre geschockt.
Da wollte einer nicht nachstehen: David Correos, philippinischer Spaßvogel und Sozialarbeiter aus Christchurch, filmte seine eigene „Twerk“-Version von „We Can’t Stop“: Zwei Zitronen ins Haar und viel Klarsichtfolie als Bikini um den prallen Leib, denn: „Ich wollte den BH meiner Mutter nicht ausleiern.“ Normalerweise haben die Klamauk-Videos des 20-jährigen Schnauzbartträgers auf YouTube nur ein paar hundert Zuschauer, aber diesmal erreichte er über eine halbe Million rund um die Welt. Das schafft kein Haka-Tänzer.
Und dann, kaum dass sich die künstliche Aufregung um Klein-Miley gelegt hat, gerät ihr Bühnenpartner Robin Thicke ins Kreuzfeuer der Kiwis. Eine Truppe fotogener Jurastudentinnen aus Auckland hat eine clevere Parodie auf Thickes sexistischen Hit „Blurred Lines“ gedreht. Als dominante Stöckelschuh-Vamps vergnügen die Studentinnen sich mit männlichen Unterhosenmodels und feuern dabei klare Botschaften ab, die ein paar Dinge zwischen Mann und Frau richtigstellen – zum Beispiel: „Komm nicht in mein Gesicht.“
Dazu passend landet eine volle Ladung Sprühsahne auf der Nase eines Herren. Die feministischen Lipstick-Rapperinnen haben’s drauf – so sehr, dass YouTube sie vorübergehend vom Schirm nahm. Wer redet da noch von Pussy Riot? Schön, wieder zu Hause zu sein in all dem Trubel.
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