Die Wahrheit: Gagaranten des Dada
Brasilienwoche der Wahrheit: Die Brasilianer sind die Fußballweltmeister der Spitznamen.
Bekanntlich liest der Brasilianer nichts außer den Trikots seiner Fußballspieler. Was darauf geschrieben steht, ist allerdings eine Wissenschaft für sich. Anders als bei uns ist der schnöde Nachname auf dem Trikot in Brasilien verpönt. Kein Wunder, denn Brasilianer sprechen sich gewöhnlich nur mit dem Vornamen an, und so wird das Trikot eben mit dem Vornamen beflockt.
Dabei kommt dem Brasilianer zupass, dass jedes Wort, das schon einmal gedruckt worden ist, in Brasilien als Vorname verwendet werden darf. So nennt beliebte-vornamen.de unter „ungewöhnliche Vornamen“ Cachaca (beliebter Tropenschnaps) und Hitler (unbeliebter Expolitiker).
Ferner lockert die „kreative“ und „flexible“ Rechtschreibung der Einheimischen die Namensgebung auf. Da die beliebtesten Vornamen João, José, Gabriel, Lucas und Pedro wenig aufregend wirken, behilft sich der kreative Fan mit diversen liebevollen Verkleinerungs- und Vergrößerungsformen. So wird aus Ronaldo Ronaldinho, der kleine Ronaldo. Will man den Spieler größer machen, dann wird aus dem kleinen Luis da Silva der große Luisão. Lustig wird’s dann, wenn sich der Spieler Elber de Souza als der junge (giovane) Elber bezeichnet, und das Giovane in Deutschland zum Vornamen seines Vornamens wird.
Aber auch Spitznamen werden vom Brasilianer gern als Künstlernamen genommen. Dunga heißt nicht „Der von weitem riecht“, sondern „Der mit den abstehenden Ohren“ nach dem Disney-Zwerg Dunga aus dem Schneewittchenfilm. Ailton heißt auf Deutsch „der Kugelblitz“, und Luis Antonio Correda Costa nannte sich größenwahnsinnig „Müller“. Immerhin wurde er mit dem Namen auch Weltmeister.
Dann gibt es noch eine ganz besondere Form der Namensgebung, die ganze Weltmeisterschaften entscheiden kann. Das Geheimnis um die fünf von Brasilien bisher gewonnenen Weltmeisterschaften muss selbstverständlich unter uns bleiben, schließlich wollen wir ja selbst Weltmeister werden.
Und glücklicherweise liest der Brasilianer ja keine Zeitungen, erst recht nicht die Wahrheit, darum kann ich das Geheimnis getrost an dieser Stelle verraten. Es beruht auf dem eigentümlichen Phänomen der lallenden Silbenverdoppelung, die aus der Kleinkindpädgogik bekannt ist. In der Lallphase findet das kleine Kind Gefallen daran, Silben spielerisch zu wiederholen: baba, gaga, mama, dada. Der Fußballfan intoniert ähnlich begeistert seine Lieblingsspielersilbe: Didi, Vavá, Pele.
Die Lallphase des Kindes dauert etwa zwölf Monate, die des Fußballfans lebenslang. Für sich genommen ist diese Erkenntnis nun eher gaga oder soso. Aber bei einer genauen Analyse der WM-Erfolge der Seleçao wird man überrascht innehalten: Dada!
Brasilien konnte seine Titel nämlich nur gewinnen, wenn Lalllaut-Spieler in der Elf antraten: 1958 waren Didi, Vavá, Pele die Gagaranten des ersten Erfolges, Ersatzspieler war Pepe. 1962 verletzte sich Pele in der Vorrunde, im Endspiel waren wieder Didi und Vavá dabei. 1970 reichte ein formidabler Pele zum Titel und beim letzten WM-Erfolg der Brasilianer war Kaká der entscheidende Spieler. Das größte Drama des brasilianischen Fußballs, die schmähliche 2:1-Niederlage 1950 gegen Uruguay im Maracanã-Stadion konnte nur passieren, weil kein einziger Spieler mit dadaistischem Doppellautnamen dabei war!
Nur in der Weltmeisterelf von 1994 schien ein Doppelsilbenspieler zu fehlen, doch diesmal führte ein verkappter Doppelsilbler im Mittelfeld Regie, Bebe-to nämlich. Im WM-Jahr 2014 wird deshalb nicht Neymar der entscheidende Spieler sein, Brasilien kann nur Weltmeister werden, wenn Kaká wieder in den Kader kommt, was der Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari, dessen Spitznamen glücklicherweise Felipão, Big Phil und Sergeant lauten, verhüten möge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“