Die Wahrheit: Tief im Urschleim

Höhlenbesuch: Im Allgäu könnte der Ursprung allen Lebens liegen. Schön anzusehen ist unser Anfang nicht. Aber die Nasa zeigt sich interessiert.

Liegt die Keimzelle des Lebens womöglich in diesen schleimigen Gebilden unter dem Allgäu? Bild: Nik Wittmann

Hat es hier wirklich begonnen? Hat hier, in dieser kleinen Allgäuer Gemeinde Sulzberg wirklich alles angefangen? Einst galten die Allgäuer als „wildes, räuberisches Bergvolk“, jetzt sollen sie plötzlich ganz viel mit dem Ursprung des Lebens zu tun haben. Das zumindest versichert der Chefgeologe des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU). Roland Eichhorn war vor gut einem Jahr mit seinen Geologen eher zufällig bei der Suche nach Wasserquellen auf den alten Jodwasserstollen mit den „Lebenden Tropfsteinen“ gestoßen.

„Wir waren uns sofort sicher, das ist was ganz Besonderes“, erklärt der Herr des bayerischen Untergrunds, der fast jeden Stein in diesem Freistaat im Süden kennt. Und auch wenn seine Geologen so was wie die absolute Mehrheit in der Tiefe haben: In diesem Fall musste zusätzlicher Sachbeistand her – am besten von den Forschern des hochangesehenen Helmholtz-Zentrums in München.

Und siehe, das, was sie herausgefunden haben, ist eine Sensation! Gut ein Jahr nach der Entdeckung dieser Höhle voller „lebender Tropfsteine“ sind sich die Wissenschaftler sicher: Es gibt wohl weltweit keine zweite Stelle mehr, an der so gut die Entstehung des Lebens und die Urbakterien erforscht werden können wie hier.

Mikroorganismen werden zwar an mehreren Stellen der Erde erforscht, in einer Höhle in Mexiko, in Australien, in der Tiefsee. Aber nirgendwo sonst gibt es sie in dieser speziellen Form. „Das sind sehr ursprüngliche Lebensformen, die man hier findet“, erläutert der Leiter der Forschungsgruppe, Tillmann Lüders. „Die Einzigartigkeit der Sulzberg-Kaverne ist die Dominanz des Methans, das aus der Tiefe entweicht – und es ist die Kopplung von einem Jod- und Methankreislauf, der so noch überhaupt nicht bekannt oder gar untersucht ist.“

Das wiederum hat gleich doppelte Bedeutung: Methan ist 23-mal so klimarelevant wie CO2 und in der alten Sulzberger Jodquelle laufen chemische Prozesse ab, die das Methan gar nicht erst entweichen lassen, sondern quasi unschädlich machen. Das könnte für die Weltklimaforschung hochinteressant werden. Ist das zu fassen: Da, wo die Kühe auf saftig-grünen Weiden fröhlich den ganzen Sommer über ihren Blähungen freien Lauf lassen, da könnte sich ein neues Refugium für Klimaforscher auftun.

Doch das ist längst nicht alles: Der zweite Aspekt ist, wie gesagt, die hier gefundene Urform von schleimigen Bakterien. „Ich glaube, dass diese Biofilme, die da in der Sulzberg-Kaverne sind, uns eventuell einen Einblick geben können über das Entstehen des Lebens auf der Erde und wie das Leben überhaupt in den Grundzügen einmal ausgesehen hat – vielleicht ein kleines Fenster, um den Urquell zu verstehen.“ Das sagt Lüders Forscherkollege Michael Stöckel.

Die dort unten gefundenen Mikrofilme ähneln stark dem Urmaterial, aus dem vor rund vier Milliarden Jahren Leben auf unserer Erde entstanden ist. Ähnliche, wenn auch nicht gleiche Urlebensformen lassen sich vielleicht noch in der Tiefsee erforschen, dort, wo ebenfalls kein Licht hinkommt. Aber auch die Forscher kommen dort fast nicht hin – ganz anders als in Sulzberg.

Der alte Stollen, aus dem einstmals das „Jodbad Sulzbrunn“ gespeist wurde, ist inzwischen geschlossen. Das Refugium für die Forscher darf nur von diesen – mit Schutzmasken – betreten werden. Vorbei die Zeiten, in denen Interessierte hinuntersteigen konnten, nachdem die Höhle ausgepumpt worden war.

Eine spektakuläre Vermutung äußert Chefgeologe Roland Eichhorn noch, wenn man ihn fragt, wie es dort unten weitergehen könnte. Er kann sich gut vorstellen, dass in nächster Zukunft sogar Experten der Nasa hier „aufschlagen“. Schon zu Zeiten der Mondflüge hatten Nasa-Astronauten wegen der Besonderheiten des Rieser Meteoritenkraters in Bayerisch-Schwaben für ihren Ausflug auf den Erdtrabanten geübt. Jetzt könnten künftige Marsmissionen das Allgäu für die Nasa interessant machen. Denn wenn es jemals dort oben Leben gegeben haben sollte (oder gar vielleicht auch jetzt gibt), dann vermutlich in einer ähnlichen Form wie am Ursprung der Erde.

Und das lässt sich, den neuesten Erkenntnissen zu Folge, wohl nirgends besser erforschen als in Sulzberg im Allgäu.

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