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Die WahrheitDer heilige Silvio

Silvio Berlusconi will seine Sozialstunden im Altenheim als Sprungbrett nach ganz oben nutzen – wenn es ihm gelingt, dort Wunderheilungen zu bewirken.

Der Nachwuchsheilige San Silvio spendet seinen Segen Bild: ap

Silvio Berlusconi lächelt mild und tätschelt dem verwirrten Greis die welke Wange. „Duce“ hat der ihn schon wieder genannt. Berlusconi lässt das unkommentiert, dabei ist ihm die Entrüstung über die Verwechslung deutlich anzusehen. Immerhin war Mussolini bloß ein zweitklassiger Polit-Stümper, während er, Berlusconi, Italien zurück in den Kreis der Weltmächte geführt hat. Das Land ist praktisch schuldenfrei, sinniert der Milliardär und betrachtet seinen letzten Kontoauszug.

Am vergangenen Freitag hat der ehemalige italienische Ministerpräsident seine Sozialstunden in einem Seniorenstift aufgenommen, zu denen ihn ein von der Linksmafia unterwandertes Gericht verdonnert hat. Nicht etwa wegen Steuerbetrugs, sondern aus Neid auf sein immer noch volles Haar und seine niemals nachlassende Potenz.

Fast ein Jahr lang wird sich der 77-Jährige regelmäßig um demente Senioren kümmern, denen der Schwamm im Gehirn sitzt und den Herbst ihres Lebens mit ulkigen Wahnvorstellungen umwölkt. „Nur Napoleon hat mehr getan als ich. Aber ich bin definitiv größer“, ist Berlusconi seit Langem überzeugt.

„Mit seinem lebhaften Wesen ist der Cavaliere wirklich eine Bereicherung“, erklärt Paolo Pigni, Leiter des Altenheims Sacra Famiglia in Cesano Boscone. „Besonders um das Betriebsklima ist er sehr bemüht.“ Aus dem Schwesternwohnheim musste Berlusconi aber dennoch wieder ausziehen.

Auch politisch darf sich das political animal im Altenheim nicht betätigen, und besonders der Wahlkampf ist ihm dort untersagt. Die Plakate seiner Forza-Italia-Partei, mit denen die Senioren neuerdings um den Block schlurfen müssen, gehören deswegen auch zu einem therapeutischen Bewegungsspiel.

Berlusconi wendet sich wieder dem hundertjährigen Pietro zu und entwendet dem Greis mit sanftem Druck den Rollator. „Geh nun und wandle, du bist geheilt“, spricht Berlusconi, schiebt Pietro an, doch der gerät ins Straucheln, stürzt und abermals verschwindet ein Hundertjähriger aus einem geöffneten Fenster. Doch die Jünger Berlusconis, die jeden seiner Schritte begleiten, ficht der eher suboptimale Ausgang der Wunderheilung nicht an. „Santo subito – heilig, heilig!“, skandieren sie und wedeln mit ihren Palmzweigen. Die meisten von ihnen gehören dem Orden der minderen Schwestern von der Anbetung der heiligen Bunga an.

Die heilige Bunga

Die blutjungen Nonnen orientieren sich am Wirken einer bislang unbekannten Märtyrerin: Die heilige Bunga wurde wegen ihrer eher zufälligen Teilnahme an ein paar wohlverdienten Orgien von den Heiden zu Tode gehänselt. Doch anders als Karmeliterinnen oder Klarissen müssen die Schwestern der Hl. Bunga ihren Orden verlassen, sobald sie volljährig geworden sind. Und auch ihr Habit ist etwas modischer geschnitten als üblich. Der Orden ist eine Neugründung, dessen Anerkennung derzeit noch geprüft wird. Vatikan-Insider weisen in diesem Zusammenhang auf eine kürzlich dort eingegangene Spende hin, die sich angeblich zu Berlusconis Holding Fininvest zurückverfolgen lässt. San Silvio, wie sich der Ex-Ministerpräsident seit Kurzem nennen lässt, steht dem Orden komissarisch als Großprior vor, doch auch hinter dieser Personalie wittern misstrauische Vatikanisten Simonie.

Berlusconi sieht das anders. „Ich bin der Jesus Christus der Politik“, äußerte der tief selbstgläubige Politiker schon 2006. „Ich bin ein geduldiges Opfer, habe mich selbst für alle geopfert.“ Seine zunehmende Hinwendung zur Religion kann Experten kaum überraschen. „Seit er nicht mehr als Spitzenkandidat antreten darf, fühlt sich Berlusconi …“, der Politologe Guiseppe Baldessarini von der Universität Parma sucht nach einer passenden Formulierung, „… nicht vollständig ausgelastet. Außerdem ist er die ewige Gängelung durch die weltliche Gerichtsbarkeit mittlerweile leid.

Als Papst dagegen besäße er dagegen ewige Immunität.“ Sollte Berlusconi tatsächlich das Amt des Stellvertreters Jesu Christi auf Erden anstreben? Baldessarini winkt müde ab. „Es ist kaum anzunehmen, dass sich Berlusconi mit dem Job als Stellvertreter zufriedengeben wird. Wenn es ihm gelingt, in Cesano Boscone ein paar Wunder zu vollbringen und damit womöglich seine Heiligsprechung zu erreichen, wird er kaum noch aufzuhalten sein.“

Doch noch ist es nicht so weit. Im Altenheim Sacra Famiglia hat sich die groß angekündigte Speisung der fünfzig Bewohner als simple Pizzabestellung entpuppt, und dass der arme Pietro noch einmal aufsteht und wandelt, steht eher nicht zu erwarten. Berlusconi schickt ein paar wüste Flüche durch das Fenster, die sogar in klangvollem Italienisch unrettbar obszön klingen, und winkt herrisch nach den Pflegern: „Schafft mir ein paar Aussätzige heran, ihr Luschen, aber avanti.“

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