Die Wahrheit: Tiefe Trauer
Erkenntnisse eines WM-Pathologen (21): Bei Niederlagen hält sich die Anteilnahme der Fußballtouristen mit ihrer Mannschaft in engen Grenzen.
D ie Welt ist im Fußballfieber. Bernd Gieseking untersucht die Pathologie des Geschehens. Der Linksfuß kennt alle Krankheitsbilder, die mit Ball zu tun haben.
Trauer ist eine Phase, die für jeden Menschen unterschiedlich verläuft, die jeder sehr individuell verarbeitet. Bei westfälischen Beerdigungen gibt es erst Beerdigungskuchen (Bienenstich), dann Schnaps als Trost, dann verhaltenes Gelächter.
Brasilianische Krankheitsbilder von galoppierender Extase bis zu letalem Schmerz.
Fußballtrauer sieht ganz anders aus! Da gibt es ein paar Geübte (Fans von Bochum und Bielefeld), aber sonst nur wahrhaft Untröstliche. Nicht so bei dieser WM. Die Spanier schieden aus, die Kamera ging auf die trauernden Fans. Die bemerkten, dass sie auf der Stadionleinwand zu sehen waren – und brachen in plötzlichen Jubel aus. Die Engländer schieden aus. Kamera auf die traurigen Fans – Jubel. Gut, Engländer! Aber auch Uruguay schied aus. Die Kamera ging auf die geknickten Fans – und die brachen in Jubel aus.
Fans? Fußballtouristen! So billig lässt man sich nicht kaufen! Andy Warhol forderte noch 15 Minuten Ruhm für jeden. Der Fan verkauft seine Trauer für drei Sekunden im Fifa-TV. Solche Fans hat auch nur diese Fifa verdient.
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