Die Wahrheit: Heiteres Beruferaten
Die Zeiten von Lembkes „Welches Schweinderl hätten's denn gern?“ sind passé. Doch auch aktuell ist die Frage nach der beruflichen Sozialisation wichtig.
D amals, als die Fotos noch mit einem Zackenrand auf die Welt kamen, lief im Fernsehen die legendäre Sendung „Was bin ich?“, bei der ein Team von „Ratefüchsen“ fragend herausfinden musste, was der Gast für einen Beruf ausübte. Der Clou: Es durften nur Fragen gestellt werden, die mit ja oder nein beantwortet werden konnten. Der Doppelclou: Der Gast musste, um den Ratemäusen zu helfen, eine „typische Handbewegung“ machen. Ja, die Sendung war extrem unglamourös.
Aber man konnte dann in der Glotze Leute sehen, die mit bedeutungsvollen Gesichtsausdruck einen imaginären Schalter umlegten, und die Spannung stieg kurz darauf enorm. Das war die Zeit, als es noch keine Systemadministratoren, Controller und Key-Account-Manager gab. Deren langweilige Handbewegungen sieht jeder sowieso den ganzen Tag. Heute wäre die Hilfestellung für die Ratehamster: „Sagen Sie einen typischen Satz!“ Aber mit „Leg mir mal die Dateien rüber“ oder „Ich will die Zahlen vom letzten Quartal“ sind wir dann auch noch nicht viel weiter.
„Heitere Berufsberatung“ fände ich eine noch lustigere Sendung. Der Kandidat wird an den Stuhl gekettet und muss bohrende Fragen beantworten, zum Beispiel, warum er unbedingt Literaturwissenschaft studieren möchte, obwohl er gar nicht gerne liest. Die ehrliche Antwort wäre wohl sehr oft: „Weil mir nichts Besseres einfällt.“ (Der naheliegende Kommentar: „Etwas Besseres als den Tod findest du überall!“, steht nur noch den Belesensten der Kommilitonen zur Verfügung.) Sonderpunkte von mir gäbe es für: „Weil ich gerne mal einen Satz mit ’Wie Gadamer schon sagte‘ beginnen möchte. Und das geht nur an der Uni. ’Wie Gadamer schon sagte: Ich hätte gern ein Viertelpfund Wurst. Und räumen sie bitte mal die Kontingenz aus der Fleischtheke.‘ Wie klingt denn das?“
Gelegentlich muss ich auch selbst Berufe raten, weil es im Geschäftsleben aus der Mode gekommen ist, sich mit seinen Funktionen vorzustellen. Wie Gadamer schon sagte, ist ja eh bald alles wurscht. Ist der Mann in der Hipsterhose in der schicken Berliner Firma Bürochef oder Werkstattpraktikant? Oder eine Art männliches Mädchen für alles, falls es das gibt? Auf meine ungeschickte Nachfrage reagiert er cool: „Ich bin Entropie-Bekämpfer.“
Das, finde ich, ist ein schöner Beruf. Ich glaube, er hat eine große Zukunft. Wenn ich es mir leisten könnte, hätte ich ständig einen Entropie-Bekämpfer an meiner Seite. Gibt es irgendwo ein Reservat für aussterbende Berufe? Mit einzelnen Gehegen? Bei „Technisch überholt“ wartet das Fräulein vom Amt, als das meine Oma noch gearbeitet hat, im Gehege „Das Internet ist schuld“ sitzen Lexikonredakteure, Buchverleger, Plattenmanager, Journalisten und die halbe Kulturindustrie.
Andere schöne Berufe sterben niemals aus, zum Beispiel Grüßaugust, Pausenclown und Frühstücksdirektor. Für alle braucht man dieselbe Qualifikation, nämlich keine, und kann es trotzdem weit bringen. Eigentlich ideal für Literaturwissenschaftler. Hat Gadamer bestimmt auch schon so gesehen.
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