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Die WahrheitTrödeln mit Einstein

Kolumne
von Susanne Fischer

Zeit ist ein relatives Ding. Und Erwachsene und Kinder leben sowieso in relativ unterschiedlichen Zeituniversen.

I ch glaube, man braucht Albert Einstein nicht, um zu wissen, dass Zeit ein relatives Ding ist. Wahrscheinlich ist er draufgekommen, als er beim Zahnarzt gewartet hat. Der Warteraum pulsiert, ich habe es in meiner Kindheit ganz deutlich gespürt, als Zahnarztwartezimmer noch nicht zu Wellness-Arenen mit Coffee-Lounge und Hochglanzzeitschriften-Display mutiert waren. Er pulsiert wie der Bohrer hinter der Tür oder der Schmerz im Weisheitszahn. Und während er pulsiert, dehnt er die Zeit unerträglich (Panik) und komprimiert sie dann wieder (Doppelpanik).

Ich war als Kind ehrlich erstaunt, als es hieß, dass unser Zahnarzt einem Herzinfarkt erlegen sei – ich hielt ihn bis dahin für unerreichbar von Krankheiten und anderen irdischen Widrigkeiten. Gott stellte ich mir wie ihn vor. Er durfte ja sogar meine Mutter auf dem grauslichen Stuhl behandeln.

Damals entwickelte ich mich zur Trödlerin. Erwachsene und Kinder leben sowieso in relativ unterschiedlichen Zeituniversen. Ich will das nicht heroisieren, das ganze Herman-van-Veeneske Getue um den poetischen kindlichen Blick ist Quark: Man dröhnt einfach zufrieden vor sich hin und findet sein Mantra im stundenlangen Hin-und-her-Schurren des Spielzeugautos. Poesie geht anders.

Sich anziehen und die Schuhe zubinden, später gar Hausaufgaben machen oder Abwaschen ist bei dem ganzen Getrödel überhaupt nicht drin. Kinder sind nicht besser oder schlauer als Erwachsene, sie sind langsam und faul und verstehen vor allem nicht, was der ganze Zirkus eigentlich soll.

Erstaunlich, dass aus dem langsamsten Kind der Welt (ich) die ungeduldigste und unleidlichste Erwachsene werden konnte (auch ich). Wer von mir im Auto angefeuert wird, wünscht sich, er wäre nie geboren worden, oder, was wahrscheinlicher ist, ich wäre nie geboren worden: „Bei Grün kann man anfahren! Lebst du noch, oder habe ich was verpasst? 70 gilt nicht für uns! Gelb ist das neue Grün!“

Ja, Welt, das ist doof, aber ich kann es nicht ändern. Vermutlich muss ich all die vertrödelte Zeit meiner ersten zwanzig Jahre am Ende doch noch wieder aufholen. Es ist stärker als ich, und es ist ein Fluch: Immer bin ich die, die auf die Uhr guckt, weiß, wann die Züge und Flüge gehen, wann das Theater beginnt und wann der allerletzte Abgabetermin ist. Ich peitsche verträumte Mitmenschen durch Bahnhöfe und Foyers und jage sie gnadenlos an den Schreibtisch; harmlose Mitmenschen, die in ihrem eigenen Zeituniversum leben, in dem Pünktlichkeit so wahrscheinlich ist wie die Auferstehung eines Zahnarztes aus einem Schälchen Götterspeise.

Schlaf und in die Sonne gucken spielen dagegen für diese Andersticker eine wichtige Rolle. Wenn sie sich dann wieder mal beeilen müssen, weil sie ihr Universum nicht rechtzeitig an den Zeitzug der restlichen Menschheit angehängt haben, geben sie mir die Schuld, nur weil ich sie erinnere. Und ich weiß genau, wenn ich mal nicht hingucke, schurren sie selig ihre Spielzeugautos hin und her.

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