Die Wahrheit: Vorbereitung des Eingriffs
Eine Operation und gar auch noch unter Zuhilfenahme von ärztlichem Personal will reiflich und am besten alkoholisiert überlegt sein.
V or der Operation nahm mich der Chefarzt beiseite. „Der an Ihnen vorzunehmende Eingriff wird drei Stunden dauern“, informierte er mich, „doch es wird sich lohnen.“ Bevor ich etwas antworten konnte, schenkte er uns Rotwein ein und sprach: „Wir müssen beide gleich viel trinken. Das bringt Glück.“ – „Werde ich eine Weinnarkose bekommen?“, fragte ich. „Gut, dass Sie das ansprechen“, meinte der Chefarzt, „wir müssen noch den Anästhesisten hinzuziehen. Ich glaube, so ist es üblich.“
Er zeigte mir ein Porträt des Anästhesisten, von unbeholfener Hand auf Karton gemalt. Der Dargestellte sah aus wie ein Prophet des Jüngsten Gerichts mit Strumpfbrille. „Gomregler heißt der Mann, und er hat das Betäubungshandwerk gelernt“, erklärte mir der Chefarzt. Ich wandte ein: „Gomregler heißt kein Mensch. Menschen heißen Domregler, Darmregler oder Brüllup.“ – „Und Glemmer?“ – „Ja“, gab ich zu, „möglicherweise auch Glemmer.“ Der Chefarzt war noch lange nicht zu alt zum Telefonieren und schrie in den Hörer: „Schicken Sie mir Glemmer! Er soll Betäubungsgerät mitbringen!“
Um uns die Zeit zu vertreiben, demonstrierte der Chefarzt die ärztlichen Kunstfehler, die in meinem speziellen Fall vermieden werden mussten. Nach einer Dreiviertelstunde fielen ihm keine mehr ein. „Was aber“, fragte ich, „wenn der Mensch eine Scheibe wäre?“ Darauf erhielt ich außer einem missbilligenden Blick keine Antwort. Als nächstes sprach der Chefarzt über die Organe.
„Fassungslos stehen wir vor dem System der Organe“, dozierte er mit Leidenschaft, „Organe! Lappen, Klumpen, Schläuche, wüstes Zeug. ’Wer hat sich das nur ausgedacht?‘, rufen wir in unserer Verstandesnot, schlagen uns an die Stirnen und stampfen mit den Füßen auf, während wir im Raum umherirren gleich betäubten Personen. Bitte nennen Sie berühmte betäubte Personen, die Sie kennen!“
Ich erschrak – darauf war ich nicht vorbereitet, beim besten Willen wusste ich so plötzlich keine namhaft zu machen. Die Worte „betäubte Personen“ riefen mir lediglich wieder ins Gedächtnis, dass wir auf den Anästhesisten Glemmer warteten. Da betrat dieser endlich den Raum, ein Köfferchen tragend. Seine Ähnlichkeit mit dem Porträtgemälde reichte für eine Identifizierung aus. Schnell war ein drittes Glas mit Wein gefüllt, und wir stießen auf das Gelingen meiner Operation an.
Der Anästhesist entnahm seinem Köfferchen etwas, worauf „Betäubungsgerät“ stand, dann tat er, als wolle er damit den Chefarzt und mich narkotisieren. Laut kreischend flohen wir quer durchs Zimmer, die Wände hinauf und über die Decke. Vermutlich machte der Mann nur Spaß, doch wollten wir es lieber nicht darauf ankommen lassen. Es entstand ein ziemlicher Tumult, und wir bekamen rote Wangen von der vielen Bewegung (der Wein tat ein Übriges). Der spielerische Umgang mit der Materie nahm mir zwar die Angst vor Narkose und Operation, zuletzt entschied ich mich vorsichtshalber aber doch für eine Spontanheilung ohne medizinische Maßnahmen. Ich habe es nie bereut.
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