Die Wahrheit: Auf den Straßen des guten Essens
Tagebuch einer Schlemmerin: Stünde an jeder zweiten Ecke ein Streetfood-Wagen, ganz Berlin trüge bald ein Grinsen im Gesicht.
S eit einiger Zeit infiltrieren fremde Einflüsse die Berliner Essgewohnheiten und obsiegen gelegentlich sogar im Kampf gegen die traditionellen Höhepunkte des hiesigen kulinarischen Lebens. Bio-„Pork Belly Buns“ und Louisiana „Po’ Boys“ treten an gegen Currywurst und Döner, Tacos und Ceviche gegen Pizza und Fischstäbchen.
An einem sonnigen Wochenende, beim „Stadt Land Food“- Festival rund um die Markthalle 9 in Kreuzberg, aß halb Berlin um die Wette und probierte alles, was nicht an die Wand genagelt war. Die Nationalitäten der Esser standen im direkten Verhältnis zum internationalen Speisenangebot, weshalb man sich in der weltläufigen Menge noch mehr Besucher wünschte wie das Berliner Urgestein, das gierig den saftigen, mit haushoch aufgetürmten Zutaten belegten „Surf and Turf Burger“ fixierte: „Wat issn dit? Und wo kann ick dit kriegn?“
Ach, Berlin. Bei der Verfeinerung der Geschmacksnerven deiner Bewohner ist man nur zu gern behilflich. Der Bürgermeisterkandidat, der verkündet, alle Berliner mindestens einmal im Monat zum Probieren unbekannter Genüsse verpflichten zu wollen, hat meine Stimme. Es gibt Dinge, die rangieren auf der Liste zukunftsbildender Maßnahmen weit vor der Fertigstellung des Flughafens BER!
Eine Woche nach dem Eat-in um den Lausitzer Platz folgte die weniger öffentliche „Berlin Food Week“ in Mitte. Beim „Bite Club Streetfood-Brunch“ im Kaufhaus Jandorf bewachte glatzköpfige Security den Eingang; drinnen war es voll und laut, Techno-Tracks beschallten umpfumpfumpf die Hungrigen, die sich vor einer überschaubaren Zahl von Verkaufswagen drängten. Die Wahl fiel auf ein frisches Bun gefüllt mit pochiertem Ei, allerhand Grün und Edelmayo; dem kommunalen Gedanken folgend, nahm man an einem der langen Tische Platz.
Beim ersten lustvollen Bissen rann Flüssig-Ei, und eine Winzigkeit landete auf dem Arm des glücklicherweise abgelenkten Nachbarn. Nach der Bewältigung des tropfenden Frühstücks war Reinigung erforderlich, und das allgegenwärtige Security-Personal wies den Weg zu den Toiletten. Neben den Waschbecken lagen die Urinale, und während man sich säuberte, durfte man live und in Farbe dabei sein, wie Männer sich neben einem kommunal erleichterten. Wer sich seinen Brunch in Kombination mit einem „Erlebnispark Gemeinschaftsklo“ wünscht, dem hätte diese Food-Veranstaltung im Jandorf gefallen.
Am Abend dann „Kitchensurfing“. Dazu erwarb man Tage zuvor für einen akzeptablen Preis ein Mehr-Gänge-Essen bei anonymen Gastgebern, bei denen zu Hause einander ebenfalls fremde Menschen von „Fräulein Kimchi“ mit einem koreanischen Menü bekocht wurden. Delikate Gerichte, nette Leute, Freundschaften fürs Leben!
Gutes Essen in angenehmer Umgebung macht eben glücklich, und dieses Glück sollte für alle da sein. Da man die Leute ja abholen soll, wo sie sind, was läge näher als die Straße? Stünde an jeder zweiten Ecke ein Streetfood-Wagen, ganz Berlin trüge bald ein Grinsen im Gesicht.
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