Die Wahrheit: Grüße aus der Aphorismus-Hölle
„Jeder Augenblick ein Geschenk“: Wer altersmäßig nullt, der wird jubeltechnisch überrollt mit sprachlichen Zumutungen und mehr.
D er 50. Geburtstag war gar nicht so schlimm. Vorher war es hart. Am schlimmsten fand ich, dass mir ständig mitgeteilt wurde, mit wem ich dieses Schicksal teile. Das lag vermutlich daran, dass irgendein Statistiker seinen öden Job so öde fand, dass er dachte: So, jetzt veröffentliche ich mal die final überflüssige Datensammlung, die langweiligste aller langweiligen Zahlenkolonnen, die Queen of Statistics, und schwupps lag sie auf dem Tisch: Die 1964 Geborenen sind der geburtenstärkste Jahrgang aller Zeiten. Eine Feststellung mit null Aussage- und Strahlkraft. Und dennoch …
Wenn man zum Beispiel erfährt, dass man genauso lange auf der Welt ist wie der Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, dann dankt man Gott, dass man nicht die gleiche Last zu tragen hat wie dieser. Dass man nicht ebenso bestraft wurde – mit einem Ego, so klein wie ein Goggomobil, das sich deswegen zum Hummer aufblasen muss; einem Job, der einen ohne Umweg übers Fegefeuer direkt in die Hölle bringt; einer lebenslangen, fast erotischen Fixierung auf Helmut Kohl und vor allem einer Ehefrau, die plappernd durch die Talkshows zieht und den mächtigen Springer-Redakteur behandelt, als sei dieser 1964 nur geboren worden, damit sie ihn später in Büchern „Schatzi“ nennen und als alltagslebensunfähigen Vollhonk darstellen kann. Nicht ohne zu erwähnen, dass „Schatzi“ im Nebenberuf ein einflussreiches Alpha-Männchen ist – irgendwie muss die Zahnärztin, ehemalige Tittentexterin und Bohlen-Biografin ihre Beziehung zu ihm ja legitimieren.
Und man ist froh, dass man in seinem Leben zwar schon auf den einen oder anderen neidisch war – damals auf Andreas Huhn wegen seines Bonanza-Rades, später auf manchen Kollegen wegen eines überraschenden Bucherfolges –, aber nie auf so was wie Kai Diekmann. Auch das lässt einen beruhigt fünfzig werden.
Unruhig wird man aber, wenn man seltsame Geburtstagsglückwünsche von seiner Sparkasse bekommt. Man schlägt das Kärtchen auf – und ist sprachlos. Erschüttert. Verwirrt. Man hat Angst, den Boden unter den Boden zu verlieren. Neben guten Wünschen gibt der unterschreibende Filialleiter einen Sinnspruch mit auf den Weg: „Vergangenheit ist Geschichte, Zukunft ist Geheimnis und jeder Augenblick ein Geschenk.“
Nicht, dass ich diese Binse inhaltlich so schlimm finde. Ich bin fünfzig, ich bin in den frühen achtziger Jahren mit Christiane Allert-Wybranietz sozialisiert worden. Mit „Verschenktexten“ wie „Einsam fühle ich mich dann, wenn ich eine Hand suche und nur Fäuste finde“. Das immunisiert.
Aber der Name unter dem Vergangenheits-Schmonzes-Zitat verstörte mich doch sehr. Es ergaben sich Fragen über Fragen: Ist die rot-grüne Betroffenheitslyrik nun endlich bei den Banken angekommen? Wurde das speziell für mich herausgesucht? Wenn ja, warum?
Nochmal schaute ich auf den Namen. Doch, unter dem „Aphorismus“ stand wirklich: „Ina Deter (*1947), Dt. Liedermacherin“. Ob Kai Diekmann auch so was bekommen hat?
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