Die Wahrheit: Hysterisch wie James Bond
Neues aus dem Scooterman-Universum: Elektromobile, die auf den Spuren von Freud tuckern, liefern luzide Anamnesen.
D er kräftige Pfleger stieß eine Tür auf, die sich zwei Stockwerke über dem künstlich angelegten See befand, an dem ich meine Tage mit meinem Zimmerpartner Alex verbrachte. Ich war bereits den elften Tag in der Klinik, und weil ich weder einen Drogenrückfall noch einen schizoiden Schub hinter mir hatte, wussten die Ärzte allmählich nicht mehr, was sie mit mir anstellen sollten. Außer mir drei Mahlzeiten aus gehäkseltem Schwein und ähnlichen Köstlichkeiten auf AOK-Niveau zu verabreichen.
Der Pfleger hatte Alex und mich aufgeschreckt, als wir den Geschmack eines Kabeljaufilets mit einer Packung Reis Crispies (mindestens haltbar bis vorgestern) aus dem Snack-Automaten bekämpften. Derweil stand Harry unter dem Fenster. Auf seinem Schoß trug er etwas, das wie ein Designer-Staubsauger aus den späten Sechzigern aussah.
„Das ist ein Nilfisk.“ Alex, seines Zeichens gelernter Industriedesigner, brauchte nur wenige Sekunden, um zu diesem Schluss zu kommen.
„Was ist das für eine Schlampe auf deinem Sitz, Harry?!“ Alex und der Krankenpfleger wechselten einen irritierten Blick. Instinktiv zog der stiernackige Pfleger eine Beruhigungsspritze aus seinem Hemd hervor und suchte routiniert nach einer Ader, in die er stechen konnte.
„Ich wollte sagen: Wie schlampig sie diesen Nilfisk abgestellt haben“, versuchte ich die Lage zu entschärfen. Dabei erstarrte ich plötzlich mitten im Schritt, stützte so viel von meinem Gewicht wie möglich auf die Stöcke. Versuchte meinen rechten Fuß zu einem Schritt anzuheben. Und dann meinen linken. Völlig aussichtslos – sie blieben stehen, als hätte man sie angeklebt.
Jetzt sagt man „Konversionsstörung“
Harry zwinkerte mir mit seinen Scheinwerfern zu. „Dass du den Staubsauger beleidigt hast, den die Lagerarbeiter auf mir abgestellt haben, weil du dich seit knapp zwei Wochen nicht blicken lassen hast, ist okay.“ – „Wie großzügig, Harry.“ Mittlerweile konnte ich mich mit ausgestrecktem Arm an einer Wand abstützen und fand entsprechenden Mut zur Pampigkeit.
„Ich hatte also Zeit zu recherchieren, warum du in letzter Zeit mehr auf der Fresse liegst als auf den Beinen stehst.“ – „Aha?“ – „Hat der gute alte Freud als Erster entdeckt. Bei ihm hieß es noch Hysterie. Jetzt sagt man ’Konversionsstörung‘.“ – „Und was kann die so?“ Harry begann mich zu erstaunen. – „Na ja.“
Er schaute, als würde er eine Lesebrille wichtig im Gesicht herumschieben. „Die gibt es gern als Bonus für Leute, die eine neurologische Krankheit haben. Parkinson, NET, ALS oder MS wie bei dir. Wenn man sowieso schon Schwierigkeiten hat, kommt die Konversionsstörung und lässt einen komplett einrasten.“
„Igitt. Was kann ich dagegen machen?“ – „Entweder dein Leben lang Tabletten schlucken und hoffen, dass die wirken.“ – „Oder?“ – „Oder du fährst dorthin, wo alles begann, und suchst dort nach Lösungen.“ – „Du meinst, wie James Bond? Im englischen Sportwagen nach Skyfall?“ – „Na ja, oder auf mir mit dem Metronom nach Cuxhaven/Sahlenburg.“ – „Klingt auch gut“, entschied ich. Eine Stunde später hatte ich meine Entlassungspapiere unterschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!