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Die WahrheitDick, fett und sexy wie Schweißfüße

Kolumne
von Arno Frank

Die Gesellschaft weigert sich, schnaufende Anwärter auf Arthrose, Arteriosklerose oder Herzkasper als „awesome“ wahrzunehmen.

I ch weiß schon, dass es verletzend sein kann. Trotzdem denke ich manchmal: „Herrgott, wie kann man nur so fett sein?“ Klar, freundlicher freilich wäre: „Sieh an, eine starke Persönlichkeit mit extravaganten Rundungen, die sich mutig heteronormativen Schablonen entzieht!“ Als spontaner Gedanke ist mir das aber zu umständlich und euphemistisch. Erst recht beim Blick in meinen Badezimmerspiegel.

Wenn ich nun aber meinen ausladenden Arsch ums Verrecken nicht aus dem Sessel gewuchtet bekomme? Wenn ich längst vor den Kalorien kapituliert habe? Dann muss ich mein Gewicht leicht nehmen, meine Fettsucht nicht mehr infrage stellen und deren Folgen in Kauf nehmen. Kann ich machen.

Mit viel Disziplin und Geduld finde ich irgendwann auch die offenen Wunden an den Innenseiten meiner aneinander reibenden Oberschenkel attraktiv. Nun wurmt mich nur noch, dass mögliche Geschlechtspartnerinnen das bisweilen anders sehen. Damit bin ich reif für die Offensive: „Mein Fett ist politisch, weil es Leute so richtig sauer macht, wenn ich es zeige. Mein Fett ist politisch, weil ich es behalte. Mein Fett ist politisch, weil es verdammt sexy ist“.

Der Satz stammt von Virgie Tovar, Vordenkerin einer neuen Bewegung aus den USA. Es ist eine Bewegung für Leute wie mich, die sich nicht gern bewegen: „Fat Pride“ statt „Gay Pride“, eine Nachgeburt der Diskurse zu Gender, Rassismus und Sexismus. Gibt’s auch in den Geschmacksrichtungen „Fat Empowerment“, „Fat Acceptance“, „Fat Power“ oder „Fat Positivity“.

Die Gesellschaft weigert sich, schnaufende Anwärter auf Arthrose, Arteriosklerose oder Herzkasper als „awesome“ wahrzunehmen? Dann sollte diese feine Gesellschaft besser ihren Schlankeitswahn und ihre „Thin Privileges“ überdenken.

Tadelnde Blicke bei McDonald’s? „Fat Shaming“! Allzu enge Sitze im Flugzeug? Diskriminierung! Diät-Tipps besorgter Freunde? „Lookism“! Zwickende Hosen bei H & M? Ausgrenzung!

Überall Normen, um Minderheiten auszugrenzen. Dabei sind wir Fetten fett wie Schwarze schwarz und Schwule schwul. Einfach so. Und nicht etwa, weil wir mehr Kalorien zu uns nehmen, als wir verbrauchen – ein typisch biologistischer Fehlschluss, der von der soziologischen Avantgarde längst widerlegt ist. Sondern weil eine neoliberale Turbogesellschaft uns Mega-Mollige massiv stigmatisiert. Da gibt’s Studien.

In Deutschland ist jedes fünfte Kind übergewichtig? Aha, und wer definiert „Übergewicht“? Eben. Fair wäre es, dicke Kinder in ihrem anarchischen Drallsein zu bestärken, ihnen Diabetes schmackhaft zu machen. Stattdessen wird ihnen eine „gesunde Ernährung“ aufgezwungen.

Ich bin guten Gewissens fett und fein raus. Demnächst mache ich meinen Abschluss in „Fat Studies“. Eat this, motherfuckin’ society! Und wo du gerade dabei bist: Meine Schweißfüße sind auch politisch. Weil es Leute so richtig sauer macht, wenn ich die Schuhe ausziehe. Mein Gestank ist politisch, weil ich nichts dagegen unternehme. Mein Schweißfüße sind politisch, weil sie verdammt sexy sind.

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Inlandskorrespondent
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Wenn ich diesen Text lese fehlt mir sehr vieles.

    Wir haben eine Jugend die kopfüber in Essstörungen kippt - und das in Massen. Das ist nicht wegzauberbar, nur weil man es gerne so hätte.

    Es herrscht kein gesunder Umgang mit Essen und Gewicht in unserer Gesellschaft - dazu gehört auch dieser Artikel.

    Nein, Adipositas ist nicht gesund. Ebenso ist es gesund nicht gesund, die Auslöser desselben zu banalisieren. Mit gesunder Ernährung ist es nicht getan, man kann auch mit gesunder Ernährung wunderbar zunehmen.

    Die Hoffnung, dass es besser wird möchte ich eigentlich nicht verlieren, aber bei manchen Auffassungen von Übergewicht die ich lese demotiviert es mich heftig.

  • Sehr wahr. Bestärkt doch das Fettsein auch ein sozialverträgliches Frühableben. Denn wer fett ist wird nicht alt und kassiert so auch keine Rente. Die Gesllschaft sollte mehr fettenfreundliche Arbeitsplätze fordern um diese dann produktiv zu erhalten bis sie mit mitte Fuffzig tot umfallen. So lassen sich dann auch Wohlstandskrankheiten wie Demenz endlich besiegen. Live fat die young!

  • Es geht darum seinen Körper und sich selbst nicht an anderen zu definieren und sein Bild vom Ideal zu überdenken.

    Die Menschen, die im Moment am längsten Leben, gelten laut BMI als leicht übergewichtig. Um die geht es hauptsächlich. Man soll sich nicht wegen ein paar Kilo fertig machen, sich schlecht fühlen nur weil das Ideal magersüchtig ist.

    Die Gesundheitlichen folgen von Übergewicht sind wesentlich komplizierter als nur fett-> ungesund, das sollte unsere Gesellschaft langsam einfach mal anerkennen.

    Außerdem sollten Menschen die sie als "voll fett" bezeichnen würden einfach nicht mehr pauschal verurteilt werden. Viele sind überhaupt keine McDonaldsmenschen mit mangelnder Selbstkontrolle sondern haben einfach nur einen schwierigen Stoffwechsel. Und selbt wenn die ersteres sind, wer bin ich über ihr Lebensmodell zu urteilen?

    Das von Ihnen angesprochene dicke Kind wird mehr darunter leiden, wenn alle ihm erzählen wie fett es doch ist und es dadurch Ausgrenzung erfährt, als wenn sein Umfeld es als nicht so dramatisch ansieht.

    Ich glaube diese Bewegung ist sehr wichtig für unsere Gesellschaft, weil sie gegen ihr Diktat geht. Menschen können zu dem stehen was sie sind. Auch wenn sie dafür in Zeitungsskollumnen nieder gemacht werden.

    • @Sonja Sonnenschein:

      Danke Sonja,für deinen hinterfragenden und ehrlichen Kommentar! Wir brauchen mehr Menschen, die die Diffamierungen und Körpernormierungen benennen, die es so vielen Menschen schwer machen, zu ihrem Gewicht zu stehen. Nur weil ein dicker Körper sichtbar ist, heißt es nicht, dass man alles über die Essgewohnheiten, Psyche, Gesundheit und Charaktereigenschaften des Menschen daran ablesen kann. Dass die Angst vor Fett mit einer rassistischen Konstruktion eines "unzivilisierten" Körpers zu tun hat und dieses Stigma sehr verletzend und schädlich sein kann sollte die Taz bedenken, wenn sie eine Kollumne dieser Art schreibt.

  • Wenn Sie es lang und laut genug behaupten, Herr Frank, dann werden Ihre Stinkefüße ganz sicher irgendwann mal attraktiv. (Mit "Macht" hat das ja schließlich auch geklappt.) Sie sind doch nicht der Einzige, der welche hat. (Ich meine nicht die Macht. Ich meine ihre Stinkefüße.) Und wenn Sie über Ihre Füße offen reden, dann glauben Andere vielleicht, dass ihre eigenen so schlecht nicht sind, wie sie mal naserümpfend dachten. Dann gibt es so etwas wie Solidarität. Die andern Stinkefuß-Besitzer werden Sie lieben, weil sie selbst sich lieben möchten – und weil sie nicht allein sein wollen, wenn es nicht unbedingt sein muss. IS? Pegida? Abendland? Union? Die Grünen? SPD? Ferrari? Fußball? Karneval? Alles nur ein Prinzip, wenn Sie mich fragen. "Gesellschaft" nennt man es - und glaubt, dass es natürlich ist.