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Die WahrheitDie atlantische Sprache der Liebe

Kolumne
von Frank Schäfer

Als juveniles Weißbrot aus der teutschen Provinz ist es mit dem Anschlussfinden am französischen Plage erstmal nicht so easy.

W ir wollten weißen Sand, Dreimeterwellen, Wein aus Zweiliterbuddeln, mit Zucker veredelt, Fototapetensonnenuntergänge und möglichst sparsam bekleidete Französinnen. Die sollten da ja ziemlich locker sein an der Atlantikküste in Biscarosse, Ortsteil Plage.

Doch auf uns juvenile Weißbrote aus der teutschen Provinz hatten sie gerade gewartet. Wir konnten uns noch so aufpumpen, beim Strandfußball fremde Pos treffen, beim Ballhochhalten zu dritt alle persönlichen Rekorde brechen oder Philippe Djians „Betty Blue“ lesen, man belächelte uns nicht mal. Abends gingen wir in die Disco und trafen einen Bekannten aus unserem Fußballverein. So ist das, wenn man sich sehr weit von zu Hause entfernt. Einer ist immer schon da.

Aber dann wurde doch alles gut. Wir saßen bei einer Dose Ravioli vorm Zelt, tranken nachgesüßten Beaujolais, Bordeaux, Languedoc-Roussillon oder einen Verschnitt, als drei leicht angetüterte Mädchen, Schülerinnen, augenscheinlich noch jünger als wir, durch die Pinienwaldherrlichkeit streiften auf der Suche nach aventure. Oder nach ein paar blöd naiven Touris, denen man die Alkvorräte wegsaufen konnte.

Sie setzten sich zwanglos zu uns, gaben vor, kein Englisch zu sprechen, ohnehin wurde mehr gekichert als gesprochen. Es war nicht mal unangenehm so ohne Verständigung. Man taxierte sich gegenseitig, kommentierte etwas, und dann wurde gelacht. Es war vermutlich besser für beide Seiten, dass der Sinn der Worte im Dunkeln blieb.

Unterhaltsam wurde es, wenn die drei Französinnen unser Idiom zu imitieren versuchten. „Schlocktrockkollompom.“ Sie gaben sich richtig Mühe, wir waren geschmeichelt und schenkten zum Dank immer wieder die mitgebrachten Becherchen nach, bis es anfing Nacht zu werden in Biscarosse Plage.

Die Mädchen blieben und blieben, wurden immer betrunkener, wir auch, und fast schien es, als hätte sich im Einflussbereichs des Alkohols eine Schnittmenge der Sprachen ausgebildet, mit der so etwas wie Verständigung zumindest rudimentär möglich war. Die Sprache der Liebe.

Da vernahmen wir ein merkwürdiges Geräusch. Wie von einem Bächlein. Die Mädchen hörten es auch. Plötzlich sprangen zwei von ihnen auf und kieksten laut. Die Dritte blieb hocken und lachte nun mit tiefer Dämonenstimme. Wir gruselten uns, schauten genauer hin und sahen, was wir längst ahnten. Sie hatte im Schutz der Dunkelheit ihren Rock gehoben, den Slip in die Kniekehle geschoben und püscherte fröhlich zwanglos in die Natur. Wir sprangen nun ebenfalls auf, weil sich der Fluss in unsere Richtung schlängelte.

Aus unerklärlichen Gründen hatte sie damit das Signal zum Aufbruch, ja, gestrullert. Sie ordnete wenig damenhaft ihre Kleidung, die anderen beiden nahmen sie jetzt in die Mitte, und genauso selbstverständlich, wie sie gekommen waren, ohne merci oder au revoir, verschwand das Trio in der lauen Nacht, eine Spur aus Mädchengekicher hinter sich herziehend.

„Ich glaube, ich habe mich gerade verliebt.“ – „Perverse Sau!“

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