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Die WahrheitEin enorm wichtiger Auftrag

Kolumne
von Eugen Egner

Wenn die Regierung beschließt, dich an einem Sonderprojekt arbeiten zu lassen, solltest du auf keinen Fall deinen Bedürfnissen folgen.

D ie Regierung hat Folgendes beschlossen: An den Masten der Fußgängerampeln sollen in kindgerechter Bedienungshöhe Vorrichtungen installiert werden, mit denen es möglich ist, den Autoverkehr fernzusteuern und die Gedanken der Menschen aufzuzeichnen. Entwicklung und Ausführung obliegen dem staatseigenen Betrieb, bei dem ich seit meinem zwölften Lebensjahr dank Beziehungen arbeite. Wir Angestellten sollen nun von einem Moment auf den anderen alles hinwerfen, womit wir beschäftigt sind, um uns dem neuen Projekt zu widmen.

Dabei haben wir erst vor ein paar Tagen dringende Order erhalten, sämtliche Darstellungen sitzender Menschen aus der europäischen Kunst- und Filmgeschichte zu tilgen, was ein ziemlich aufwendiges Geschäft ist. Ich wage, einen entsprechenden Einwand vorzubringen. Ab sofort gelte ausschließlich die jüngste Anordnung, versichert daraufhin die Betriebsleitung. Jede anderslautende sei Makulatur und somit hinfällig.

„Das ist doch was für dich“, sagen meine Kolleginnen und Kollegen zu mir, auf schäbige Art und Weise bemüht, die unmögliche Herausforderung auf mich abzuwälzen. Es muss hinter den Kulissen zur Zahlung von Bestechungsgeldern gekommen sein, denn plötzlich vertritt die Betriebsleitung offiziell die Ansicht, nur ich könne das von der Regierung Verlangte leisten. Man richtet mir einen vollkommen neuen Arbeitsplatz in einem eigenen Büro ein, legt eine ausgehängte Tür auf zwei Sägeböcke und spendiert obendrein ein paar Farbstifte.

Nun bin ich aber neben meiner beruflichen Tätigkeit auch Mensch, also in nicht unwesentlichem Maße Säugetier, und habe meine kreatürlichen Bedürfnisse. Deshalb entferne ich mich unter fadenscheinigen Vorwänden immer öfter vom Arbeitsplatz, laufe in der Stadt umher, trinke tagsüber Alkohol und beginne aus meinem Geltungsbedürfnis heraus unbekömmliche Affären. Ich lasse mich gehen.

Unweigerlich gerate ich in Schwierigkeiten, als die Regierung nach einiger Zeit erste Ergebnisse sehen will. Ich suche mein Glück in dreisten Ausflüchten, versuche, Mitleid zu erregen, nehme schließlich Zuflucht zu Drohungen – es hilft mir alles nichts. Zwar werde ich nicht entlassen, wohl aber in die Buchhaltung des staatseigenen Betriebs versetzt, bei dem ich, wie schon erwähnt, seit meiner Jugend arbeite.

Menschen wie ich brauchen, um bestehen zu können, sehr viel Glück, und tatsächlich habe ich welches: Der Zufall kommt mir zu Hilfe. Zwischen den Buchungsbelegen, die ich vor dem Wegwerfen chronologisch sortieren soll, finde ich eine alte Rechnung über das an Fußgängerampeln in kindgerechter Bedienungshöhe erfolgte Anbringen von Vorrichtungen, mit denen es möglich ist, den Autoverkehr fernzusteuern und die Gedanken der Menschen aufzuzeichnen. Dergleichen muss also bereits im Einsatz sein! Für diese Entdeckung werde ich von Betriebsleitung und Regierung belobigt und darf weiterhin Darstellungen sitzender Menschen aus der europäischen Kunst- und Filmgeschichte tilgen.

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