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Die WahrheitEklatanter Etikettenschwindel

Kolumne
von Jenni Zylka

Wenn nicht das drin ist, was drauf steht, bleibt einem außer punkiger Verachtung oder makabrem Humor oft nicht viel übrig.

B eim Eintüten von Trauerpost, die ich neulich schreiben musste, geriet mir versehentlich anstatt der schwarz umrandeten Anzeige eine Ebay-Quittung über ein Paar „Lila Velourslederstiefel * sexy * Mod * 60s!“ in einen der Umschläge. Der Brief kam zurück, sonst hätte ich das Versehen gar nicht bemerkt. Die Adressatin hatte die „Annahme verweigert“, was ich ganz gut verstehe – ich hätte in dem Alter auch nichts mehr übrig für makabre Scherze.

Jemandem eine von Hedonismus zeugende Quittung im postalischen Trauergewand zu schicken, ist sogar noch viel fieser, als aus Versehen SMS an die Falschen zu schreiben: Zweimal bekam ich neulich vertrauliche Nachrichten von unbekannten Nummern. Das erste Mal schrieb der/die/das Fremde: „Bin gleich da ♥“, dann, als ich nicht antwortete, noch mal nachdrücklich: „5 Minuten! ♥♥♥♥♥!“.

Ich wartete vorsichtshalber die fünf Minuten ab, man weiß ja nie, und die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch es passierte nichts, wahrscheinlich waren die beiden Liebenden längst zusammen, und hatten vor lauter Übereinanderherfallen nicht mal gemerkt, dass zwei falsch adressierte SMS eine arme einsame Frau kurzzeitig ganz wuschig gemacht hatten.

Den schlimmsten Etikettenschwindel zum Thema „Große Erwartungen“ durfte ich eh bereits in den 80ern erleben, als ich mir eine Sham-69-Schallplatte kaufte (grölige englische Punkband) und in der Innenhülle eine KC-and-the-Sunshine-Band-Platte vorfand.

Ich hatte die Scheibe aufgelegt, ohne genau auf das Etikett zu gucken, und hoffte im ersten Augenblick, dass das rhythmische „Whoo whoo whoo whoo whoo whoo whoo whoo whoo“ am Anfang vielleicht eine Art subtile, systemkritische Punkattitude sei: Zuerst Discorhythmen, die nach ein paar Sekunden mit einem Schrei, dem Klang einer zerbrechenden Scheibe oder einer ähnlich brachialen Kakofonie auditiv zerstört werden würden.

Aber nach den Auftakt-Whoo-Whoo-Whoos kamen die zweiten, und dann setzten KC und seine Sonnenscheine mit „That’s the way / aha aha / I like it / aha aha“ ein. Ich riss die Platte wütend vom Teller und schleuderte sie voller punkiger Verachtung gegen die Wand, wo sie nicht mal kaputtging, denn damals war das Vinyl dicker.

Anderes Kleinvieh macht aber auch Mist, ein Glück. Eine meiner Freundinnen bestellte einst einen Designklassiker: den Verner-Panton-Freischwinger-Stuhl, zum Schnäppchenpreis, in 60er-Jahre-Lackrot. Sie habe in ihrer Wohnung extra einen Platz freigeräumt, erzählte sie mir und versuchte, bei der Lieferung zu Hause zu sein, damit der Postbote nicht zweimal schleppen müsse.

Musste er auch nicht: Als sie es an jenem Tag draußen klappern hörte und zum Briefkasten eilte, steckte der Stuhl schon darin. Er war nämlich nur eine Miniatur, Puppenhausgröße. Die Versandkosten betrugen 2,45 Euro. „Hat dich das nicht gewundert“, fragte ich. – „Hmpf“, antwortete sie. Inzwischen hat sie sich jedoch noch einen schwarzen bestellt, und wenn ich zum Frühstück komme, legen wir immer hart gekochte Eier hinein. Sieht hübsch aus.

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