Die Vorschau: Aus Russland mit Liebe
■ „Spitfire“ serviert polyglotten Ska im Schlachthof
Eigentlich wird der Ska ja von Liebhabern dieser Musikrichtung als einer der Musikstile bezeichnet, die mit dem Arbeiter an sich besonders eng verwoben sind. Proletarisch sei der Ursprung des Ska gewesen, in England, wo sich die einfachen Leute das Beste aus Reggae und Rock'n'Roll zusammenklauten und dann Sonnenbrillen, Homburg-Hüte, Karohosen und Jackets zur Szene-Uniform erkoren.
Darüber, wie arbeiternah Ska wirklich ist oder jemals war, wird sicher auch in zwanzig Jahren noch an Kneipentischen diskutiert werden. Fest steht aber: Die ehemalige Arbeiter- und Bauerngroßmacht Russland hat der Ska erst mit einigen Jahren Verspätung erreicht – und es dafür gleich im Sturm erobert.
Spitfire gehören zu denen, die schon 1993 in der wilden, blühenden Ska-Szene von St. Petersburg vom Off-Beat angefixt wurden. Eigentlich hatten die Jungs als punkiges Rockabilly-Trio in irgendeiner Garage angefangen. Mittlerweile aber sind die St. Petersburger zu einem Sextett herangewachsen, das den Vergleich mit anderen europäischen Spitzen-Skabands wie Mr. Review wahrlich nicht zu scheuen braucht.
Auf „The Coast is Clear“, dem zweiten und derzeit aktuellen Spitfire-Album, reihen sich schmetternde Ska-Hämmer an gediegen dahin groovende Reggae-Nummern. Mal flirtet die Ska-Band mit dem Mambo, mal mit dem Punk. Mal braten die Gitarren, mal sorgen sie – im Hintergrund zackig angeschlagen – für clever getarnte Off-Beat-Tanzbarkeit. Dazu tröten quietschfidel und einfallsreich arrangiert Trompete, Sax und Posaune – eine Klanglandschaft, die sich ständig verändert und die deshalb immer spannend bleibt.
Außerdem scheinen die St. Petersburger reichlich Hirn unter dem Hut zu haben. Sie mokieren sich auf äußerst hörenswerte Art und Weise über das bei neureichen Russen grassierende Fastfood-Fieber oder über manische Autoliebhaber – letzteres bei ihrem Stück „Auto“ sogar in prächtigem Deutsch: „Sie sind der Traum auf Rädern, gebraucht oder neu will sie jeder“, dichten die polyglotten Russen dort. Andere Stücke singen sie in Englisch oder Russisch – einer Sprache, die so schön zum wippenden Ska-Offbeat passt, dass man glauben könnte, diese Musik wäre eigentlich aus dem wilden Polka- und Folklore-Gehobel in Moskauer Kaschemmen entstanden.
Ein paar Kilometer weniger Anfahrtsweg hat die ebenfalls eingeladene Vorband zurück gelegt: Polens Something like Elvis haben mit dem dicken Barden nichts zu tun, bringen dafür aber ein dickes Akkordeon mit, das ihrer Version des proletarischen Ska-Sounds einen eigenen, ziemlich folkigen Charakter verleiht.
Lars Reppesgaard
Am Donnerstag spielen Spitfire und Something like Elvis im Schlachthof ab 20 Uhr. Mehr über Spitfire kann man im Internet unter: www.spitfire.spb.ru nachlesen
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