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■ Die Verhandlungen in Österreich zwischen ÖVP und FPÖ kommen voran: Am Wochenende hat man sich auf das neueste Reformprojekt geeinigt. Unter dem Stichwort „Nullzuwanderung“ will man die Grenzen für Einwanderer schließen. Doch in Europa regt sich WiderstandNull Zuwendung für Jörg Haider

Jörg Haider verbittet sich jede Kritik aus dem Ausland. Jacques Chirac habe in den letzten Jahren „alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“, und die Belgier sollten sich besser um ihre Kinderschänder kümmern, ließ der Kärntner Landeshauptmann am Samstag ausrichten. Bundespräsident Thomas Klestil, der Haider gern von der Regierung fern gehalten hätte, reagierte mit „Besorgnis und Bestürzung“. Derartige verbale Entgleisungen ließen „jedes Gespür für internationalen Umgang vermissen.“

Dass die Kritik aus dem Ausland substanzlos sei, findet auch Wolfgang Schüssel nicht. Der bisherige Außenminister und Vizekanzler, der durch Haiders Gnaden endlich Kanzler werden soll, sieht sich aber ständig in der Verlegenheit, seinen künftigen Koalitionspartner verteidigen zu müssen. Beharrlich bescheinigt er dem Mann, von dem er vor wenigen Monaten noch behauptete, „Haider ist ein Politiker, der alles zerstören will“, Lernfähigkeit. Schüssel plädiert dafür, die künftige Regierung nicht an den Sprüchen der Vergangenheit zu messen. Mit der FPÖ werde derzeit „ein mutiges Reformprogramm“ gezimmert.

Eines dieser so genannten mutigen Reformprogramme, auf das man sich am Wochenende geeinigt hat, heißt „Nullzuwanderung“ und ist eine Verschärfung des Fremdenrechts. Das Missverhältnis zwischen der steigenden Zahl der Rentner und der geringen Geburtenrate soll nicht durch Immigration, sondern durch eine familienfreundliche Politik behoben werden. Das heißt, für Ausländer sollen die Grenzen immer dichter werden. In der Interpretation von ÖVP-Klubchef Andreas Khol klingt das fast freundlich: Die Integration von bereits in Österreich lebenden Ausländern solle Vorrang haben. Rund 30.000 müssen noch unter dem Titel Familienzusammenführung ins Land gelassen werden. Wenn dieser Rückstau abgebaut sei, so Khol, „soll die Zuwanderungsquote schrittweise gesenkt werden. Das Wort Null kommt aber in der Vereinbarung nicht vor.“ Haider hatte dagegen in mehreren Interviews erklärt, die neue Regelung laufe „auf eine De-facto-Nullzuwanderung“ hinaus.

Ausländische Arbeitskräfte sollen in Zukunft nur mehr zu Spitzenzeiten des Fremdenverkehrs zeitlich begrenzt als so genannte Saisonniers einreisen dürfen. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen kann der Idee wenig abgewinnen: „Sich umzustellen auf ein Saisonarbeitermodell widerspricht humanistischen Traditionen und ich bezweifle, dass es wirtschaftlich vernünftig ist.“ Die Auslegung von Wolfgang Schüssel, wonach die Saisonniers zusätzlich zur bisherigen Zuwanderungsquote geholt werden sollen, wird von der FPÖ nicht geteilt.

Zu Interpretationsstreitigkeiten wird es in Zukunft wohl noch öfter kommen. Das atemberaubende Tempo, mit dem das künftige Regierungsprogramm abgehakt wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Koalition ÖVP-FPÖ noch jede Menge Sprengstoff birgt. In der Familienpolitik waren die Positionen einander so nah, dass schnell eine Einigung zustande kam. Auch die Senkung der Lohnnebenkosten zwecks Ankurbelung der Wirtschaft war schnell unter Dach und Fach. Weniger einfach ist die Einigung darüber, wie das finanziert werden soll.

Wie viel den Frührentnern abgezogen werden soll, um das Pensionsantrittsalter in die Höhe zu treiben, wird noch diskutiert. Ein umfassendes Privatisierungsprogramm soll 17 Milliarden Mark bringen. Die Erhöhung „der Treffsicherheit der Sozialleistungen“ lässt einen Kahlschlag im Sozialbereich erwarten.

Die ermüdeten WählerInnen, die vier Monate nach den Nationalratswahlen endlich eine Regierungs sehen sehen wollen, signalisieren in jüngsten Umfragen ihr Einverständnis mit der geplanten Koalition. Immerhin 42 Prozent gaben sich aber in einer vom ÖVP-nahen Fessel-Institut erhobenen Telefonbefragung besorgt. Und nur 20 Prozent wünschen sich einen Freiheitlichen als Bundeskanzler. Obwohl in der Öffentlichkeit über die Kabinettsaufteilung nicht gesprochen wird, gilt als sicher, dass Haider zunächst seinen Posten als Landeshauptmann von Kärnten nicht aufgibt. Auch die Pflege der Außenbeziehungen überlassen die Freiheitlichen lieber der ÖVP. Wenn Schüssel Kanzler wird, übernimmt diese Aufgabe wohl die bisherige Staatsekretärin Benita Ferrero-Waldner. Sie muss dann etwa in Afrika erklären, was Wiens FPÖ-Chef Hilmar Kabas wirklich gemeint hat, als er zum Besten gab, die Dealerszene sei „in der Hand von Schwarzafrikanern“, denn die „sieht man auch als Süchtiger sehr gut“. Ralf Leonhard, Wien

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