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■ Die Urteile gegen Krenz & Co hinterlassen UnbehagenVom Weichei zum Märtyrer

„Sehr geehrter Herr Krenz, zu DDR-Zeiten habe ich nicht viel von Ihnen gehalten. Seit Sie vor Gericht stehen, sind Sie mit jedem Verhandlungstag in meiner Achtung gestiegen.“ Ein alter Herr versichert während einer Prozeßveranstaltung Egon Krenz seinen Respekt. Das „lachende Gebiß“ (W. Biermann),

der kleine Diktator, der Möchtegernvorsitzende bekommt jetzt, was er zu DDR-Zeiten vermißte: Achtung und Anerkennung. Ein Prozeß macht's möglich: Aus einem Weichei wird ein Märtyrer.

Der Prozeß gegen die drei noch verhandlungsfähigen Mitglieder des letzten Politbüros der DDR hat nichts von dem geleistet, was man von einem Strafprozeß gemeinhin erwarten darf. Er diente nicht der Wahrheitsfindung. Im Gegensatz etwa zu den Veranstaltungen der Wahrheitskommission in Südafrika haben Krenz, Kleiber und selbst Schabowski natürlich vom Recht des Angeklagten zur Lüge Gebrauch gemacht. Ich werde doch vor diesem Gericht keine Fehler zugeben! höhnte Krenz jüngst im Kreise seiner Anhänger. Auch diente der Prozeß nicht dem Schutz vor Wiederholungstätern.

Aber wer soll die Toten an der deutsch-deutschen Grenze sühnen, wenn nicht die Auftraggeber der Todesschützen? Wolf Biermann hat 1992 in einem furiosen Essay „À la lanterne! À la lanterne!“ geschrieben: „Falls im Grauen des Morgengrauens, wenn die Diktatur gestürzt ist und das neue demokratische Recht noch nicht gilt, der Pöpel schreit – Hängt das Pack auf! –, dann gehöre ich zum Pöbel. So eine verbrecherische Triebabfuhr im Affekt mindert den gefährlichen Selbsthaß des demoraliserten Volkes.“ Doch nichts von alledem.

Jetzt haben wir das neue demokratische Recht, und es ist zu allem Überfluß das Recht des Westens. Die friedliche Revolution von 1989 dachte nicht an den Tyrannenmord. Auch wollte die Mehrheit der DDR- Bürger nach den ersten freien Wahlen 1990 ihre Republik nicht mehr so lange aufrechterhalten, bis mit den alten Diktatoren abgerechnet wurde. Jetzt sitzen westdeutsche Richter über Krenz & Co zu Gericht, westdeutsche Staatsanwälte fordern Sühne für begangenes Unrecht. Was geht die das an? fragt Krenz und mit ihm viele Ostdeutsche. Was sollen die Angehörigen der Toten an der Mauer mit sechseinhalb oder drei Jahren anfangen? Dieses Urteil schafft keine Gerechtigkeit, sondern eine neue Legende der angeblichen Siegerjustiz. Und Egon Krenz wird zum stellvertretenden Märtyrer für die Opfer des Einigungsprozesses. Jürgen Gottschlich

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