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■ Die Union debattiert ihr Familienbild. Doch die Hardliner wollen die Wirklichkeit noch immer nicht zur Kenntnis nehmenKein Abschied von vorgestern

Warum werden kinderlose Ehen eigentlich staatlich subventioniert?

Als CDU-Generalsekretärin Angela Merkel Anfang des Monats öffentlich ankündigte, ihre Partei werde sich ein modernes Familienbild zulegen, wird das christliche Fundamentalisten – oft in Bayern und Baden-Württemberg beheimatet – erschreckt haben. Denn was die Politikerin – unterstützt vom Parteifreund und früheren Bildungsminister Jürgen Rüttgers, gewiss auch gebilligt vom Parteichef Wolfgang Schäuble – zumindest zur Diskussion stellen wollte, war im Grunde nichts anderes, als die gesellschaftliche Wirklichkeit der Bundesrepublik nicht mehr so zu sehen wie noch in den Fünfzigerjahren. Ihr zentrales Bekenntnis: Der Staat dürfe nicht vorschreiben, wie die Menschen zu leben haben, wenn sie es miteinander einverständig tun.

Der Umbruch, der in zähen Jahren stattgefunden hat, ist schwerwiegend, in erster Linie in den Augen von Freunden des konservativen Familienmodells: Unabhängig von ihrer Weltanschauung – ob christlich, jüdisch, muslimisch oder nichtreligiös – empfinden immer noch die meisten Menschen das Zusammenleben mit einem Geliebten oder einer Geliebten als eines der wichtigsten Lebensziele. Die meisten von ihnen wollen auch gemeinsam Kinder haben.

Nicht mehr gewiss ist allerdings, dass sie diese Kinder gleich in den ersten Jahren ihrer Liebe haben wollen. Unsicher ist zudem oft – was als ein zentrales Element der vom Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt so genannten modernen und weithin üblichen „Verhandlungsmoral“ zwischen den Liebenden verstanden werden muss –, wie ein gewünschtes Kind in die beruflichen Pläne der potenziellen Mutter oder (viel seltener) des Vaters hineinpasst. Kurzum: Mehr und mehr Frauen nehmen es nicht mehr klaglos hin, wenn der Mann fraglos erwartet, dass sie sich vornehmlich um die Aufzucht des gemeinsamen Nachwuchses kümmert.

Und weiter: Viele Frauen brauchen schon lange kein Kind mehr, um sich vom Elternhaus lösen zu können, müssen kein Kind bekommen, um sich als Frau bestätigt zu fühlen. Sie möchten eines, das sie lieben können, für das sie innerlich bereit sind, das sie nicht daran hindert, ihren gedachten Lebensentwurf zu leben. Wenn sie ein Kind wollen, soll es gewünscht sein. Auch deshalb ist das Durchschnittsalter der werdenden Mütter während der vergangenen zwei Jahrzehnte gestiegen: Die Zeiten der Mutterkreuze sind vorbei.

Die familienpolitische Bilanz nach 16 Regierungsjahren der Union, kleinfamiliengläubig wie keine andere politische Formation hierzulande, lässt sich umgekehrt so ziehen: Frauen, die Kind und Beruf miteinander vereinbaren wollten, stießen auf strukturelle Widerstände, die sie nicht auflösen konnten. Anders als beispielsweise in der Schweiz, aber vor allem in Schweden, Dänemark oder Norwegen, gibt es nicht ausreichend viele Hortplätze. Die Erbschaft der DDR, die flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen, die voll arbeitenden Frauen einen Rückhalt gibt, ist abgeschafft worden – und zwar nicht nur aus Gründen siecher Staatsbudgets, sondern auch, weil voll erwerbstätige Frauen in der Wahrnehmung von Unionspolitikern keine guten Mütter sein können.

Die Schließung von Horten war insofern auch ein stiller Zwang – allen Mühen Rita Süssmuths zum Trotz –, um die Frauen wieder auf ihre erste Aufgabe zu verpflichten, die Aufzucht der Kinder.

Darüber hinaus musste das Bundesverfassungsgericht feststellen, dass dieser Staat Eltern in die Armut treibt. Die rot-grüne Koalition muss nun finanziell ausbaden, was die Union während ihrer Regentschaft angerichtet hat: die Familie zu propagieren, dieses Lebensmodell aber faktisch zur Erosion zu treiben.

In einer Hinsicht allerdings hat sich die Union eisenhart gezeigt, da gab es keine Kompromisse: Das Ehegattensplitting darf nicht angetastet werden. Diese Regelung privilegiert die Ehe, nicht jedoch das Kinderkriegen. Erheblich weniger Steuern zahlt in dieser zur Finanzpolitik gewordenen Weltanschauung, wer heiratet. Das heißt also auch, dass kinderlose Ehepaare besser gestellt werden als Menschen, die ohne Trauschein zusammenleben: Heterosexuelle – und Homosexuelle sowieso.

Die Regelung mit dem Ehegattensplitting ist also eine Förderung des Gangs zum Standesamt. Im Grunde handelt es sich dabei ausschließlich um eine Subvention heterosexueller Beziehungen, die sich via Standesamt einen erklecklichen Steuerbonus verdienen. Das Argument der Union, dass jede Ehe auf Kinder ausgerichtet sei, vielmehr sie ohne Kinder keinen Sinn mache, ist freilich altbacken katholisch. Es entstammt dem geistigen Horizont der Fünfzigerjahre und einer untergegangenen gesellschaftlichen Wirklichkeit. Und: Möglicherweise heiraten viele heterosexuelle Paare, weil dereinst Kinder kommen könnten – aber sämtliche soziologischen Befunde aus den Alltagen der Bundesrepublik besagen, dass Ehe & Kinder nur noch von einer Minderheit als zwingende Kombination gesehen wird.

Solange die Union nicht wirklich aufräumt mit ihrer an der Realität vorbeigehenden Vorstellung von Ehe und Familie, wird sie es schwer haben, die neue, alte Mitte zurückzuerobern. Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen werden will, deutet ja nicht umsonst an, dass sich seine Partei von homophoben Vorstellungen trennen müsse: Er weiß, dass die neuen, früher: alternativen Mittelschichten, also viele, viele Wählerstimmen, sich in kein Lebensmodell pressen lassen möchten.

Also: Dass Familien mit Kindern nicht verarmen dürfen, wird niemand bestreiten – aber die steuerliche Privilegierung von kinderlosen Ehen wohl doch. (Wobei die Ehe selbstverständlich auch Homosexuellen offen stehen muss – ihre Beziehungen brauchen nicht weniger rechtlichen Schutz als jene der Heterosexuellen. Dass dies keine steuerlichen Belohnungen geben darf, sofern auch die verschiedengeschlechtlichen Bindungen entprivilegiert werden, versteht sich von selbst.)

Der gesellschaftliche Wandel ist an der Union fast unbemerkt vorbeigezogen

Aber man muss kein Prophet sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass die zarten Anwandlungen von Moderne aus dem Think-Tank Angela Merkels, die vagen Andeutungen von Jürgen Rüttgers an den christlichen Fundamentalisten im Süden der Republik auf erbitterten Widerstand stoßen werden – wie die ersten Reaktionen aus Bayern gezeigt haben.

Die Union hat somit noch einen langen Weg vor sich, ehe sie die Buntscheckigkeit der Lebensentwürfe im Deutschland der Jetztzeit respektieren kann. Bis dahin werden sich die Wähler jenen zuwenden, die ihnen keine Vorschriften machen wollen und die es ihnen ermöglichen, auch ohne Heirat, mit oder ohne Kinder, erträglich und moralisch unbehelligt über die Runden zu kommen.

Jan Feddersen

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