Die USA zehn Jahre nach 9/11: Trauer ohne Politik
Mit bewegenden Feiern haben die USA der Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 gedacht. Nicht eingeladen: die New Yorker Feuerwehr. Das sorgte für Unmut.
NEW YORK/BERLIN afp/dpa/dapd | Auf der ganzen Welt haben am Sonntag Menschen für einen Moment innegehalten und der Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA gedacht.
Vor zehn Jahren waren fast 3.000 Menschen aus mehr als 90 Ländern getötet worden, als Terroristen Passagierflugzeuge entführten und in die beiden Türme des World Trade Centers in New York und in das Pentagon in Washington steuerten – mehr als jeder neunte war ein new Yorker Feuerwehrmann. Ein viertes entführtes Flugzeug wurde von den Passagieren in der Nähe von Shanksville in Pennsylvania zum Absturz gebracht, bevor es sein Ziel erreichen konnte.
Bei der Gedenkfeier am Ground Zero in New York verharrten US-Präsident Barack Obama und sein Vorgänger George W. Bush schweigend, als zwei Mal eine Glocke zu der Uhrzeit erklang, als vor zehn Jahren das erste Flugzeug in das World Trade Center (WTC) in Manhattan einschlug. Obama las einen Psalm und Bush las aus einem Brief aus der Zeit des Bürgerkriegs von Präsident Abraham Lincoln an eine Mutter, die alle ihre fünf Söhne verlor.
Zu getragenen Cello-Klängen kamen dann Angehörige der Opfer auf die neu gestaltete Memorial Plaza auf dem früheren Gelände des WTC. Im Mittelpunkt der Gedenkfeier in New York, die von Bürgermeister Michael Bloomberg geleitet wurde, stand die Verlesung der Namen der Opfer, die bei Terroranschlägen auf das WTC ums Leben kamen.
Das Singen der US-Nationalhymne und eine Prozession von Dudelsackspielern hatte die Zeremonie eröffnet. US-Präsident Barack Obama und sein Vorgänger George W. Bush waren mit ihren Frauen Michelle und Laura gekommen. Zu den Gästen gehörten auch New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg und sein Vorgänger Rudolph Giuliani. "Sie waren unsere Nachbarn, unsere Freunde, unsere Ehemänner, Ehefrauen, Brüder, Schwestern, Kinder und Eltern. Sie waren die, die zur Hilfe geeilt sind", verlas Obama. Anschließend begannen Hinterbliebene, die Namen der Opfer zu verlesen. Eine vor zehn Jahre in den Trümmern wehende Fahne wurde erst enthüllt und dann feierlich wieder gefaltet.
Gedenkpark
An der Trauerfeier nahmen neben Politikern vor allem die Angehörigen der Opfer teil. Sie hatten mit dem neuen Gedenkpark zum ersten Mal einen gemeinsamen Ort der Trauer. Im Schatten des neu entstehenden gewaltigen Büroturms "1 WTC" sollte noch am Sonntag ein Gedenkpark eröffnet werden. Kern sind zwei quadratische Becken mit 60 Metern Kantenlänge an den Stellen, an denen die Zwillingstürme standen. An ihren Kanten stürzte Wasser fast zehn Meter in die Tiefe. An den Rändern sind die Namen der Opfer eingraviert, auch von den sechs Menschen, die bei einem ersten islamistischen Anschlag 1993 starben.
Doch die gemeinsame Feier wurde auch von Unmut begleitet. Die New Yorker Feuerwehrleute hatten den höchsten Blutzoll erbracht – und waren nicht eingeladen. In Interviews äußerten viele ihren Unmut. Bei CNN wurde ein "Firefighter" befragt, warum er nicht an der Feier teilnehme, als Angehöriger eines Opfers dürfe er das doch. "Nein danke", sagte er, "ich bin lieber hier draußen bei meinen Kameraden".
Der zehnte Jahrestag war auch in der US-Hauptstadt Washington mit massiven Sicherheitsvorkehrungen verbunden. Alle 3.800 Polizisten der Stadt seien zu 12-Stunden-Schichten eingeteilt worden, berichtete die lokale Zeitung "The Examiner" unter Berufung auf die Metropolitan Police. Hinzu kamen viele Kräfte der Bundespolizei. Zufahrtstraßen zu Regierungs- und Parlamentsgebäuden waren weitgehend gesperrt. Bombenspürhunde untersuchten Fahrzeuge und U-Bahn-Stationen.
Trauer um Opfer in Washington und Shanksville
Bei einer Gedenkfeier am Pentagon wurde um 09.37 Uhr (Ortszeit) – dem Zeitpunkt, als vor zehn Jahren das Flugzeug in das Verteidigungsministerium einschlug – eine Schweigeminute abgehalten. Verteidigungsminister Leon Panetta würdigte neben den Opfern der Anschläge auch die 6.200 US-Soldaten, die seitdem in den Kriegen in Irak und Afghanistan ums Leben kamen.
In Shanksville sang ein Chor im Gedenken an die Insassen von Flug 93. Rund 5.500 Zuschauer wohnten der Verlesung der Namen der 40 Passagiere und Crewmitglieder bei.
Bereits am frühen Sonntagmorgen (MESZ) wurden erste Gedenkfeiern im Pazifikraum abgehalten. Politiker und Angehörige der Toten versammelten sich in New Plymouth in Neuseeland zu einem Gottesdienst. Auch in Malaysia und Australien gedachten Familien ihrer Angehörigen, die bei den Anschlägen getötet wurden. In Tokio verharrten Trauernde vor einem Stück Stahl von Ground Zero in Erinnerung an 23 Bankangestellte, die bei den Anschlägen ihr Leben verloren. Papst Benedikt XVI. betete am Sonntag zum Abschluss eines Gottesdienstes in Ancona für die Opfer der Terroranschläge und ihre Angehörigen.
Auch Deutschland gedenkt der Opfer
Auch Deutschland hat am Sonntag der Tausenden von Opfern gedacht. Bundesweit gab es Gedenkgottesdienste, zahlreiche Menschen beteiligten sich bundesweit um 14.46 Uhr an der weltweiten Schweigeminute. 2001 war zu dieser Zeit das erste von Terroristen gekaperte Flugzeug in ein Gebäude des World Trade Center gestürzt.
Bundespräsident Christian Wulff bezeichnete die Terroranschläge als einen Angriff auf gemeinsamen Werte des Westens. "Wir müssen diese Werte bewahren, verteidigen, schützen – gerade auch im Kampf gegen den Terrorismus", mahnte das Staatsoberhaupt. Für Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ist eine der Lehren aus den Anschlägen, "Toleranz zu leben". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief dazu auf, Misstrauen zu überwinden.
Gedenken von Berlin bis München
Den Auftakt der Gedenkfeierlichkeiten bildete am Vormittag ein prominent besuchter Gottesdienst in der American Church in Berlin. Neben Bundespräsident Wulff nahmen auch Außenminister Westerwelle, Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck sowie Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (beide SPD) teil. Bei dem ökumenischen Gottesdienst mit dabei war auch der amerikanische Botschafter in Berlin, Philip D. Murphy. Gemeinsam gedachten sie mit einer Schweigeminute der Opfer.
In München kamen am Nachmittag führende Vertreter der Weltreligionen und der Politik zusammen, um an die Opfer der Anschläge in den USA zu erinnern. Die Gedenkfeier bildete den Auftakt zum diesjährigen Weltfriedenstreffen, das auf Einladung der Gemeinschaft Sant'Egidio und der Erzdiözese München und Freising bis zum Dienstag stattfindet.
Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx forderte dabei ein Umdenken im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die direkte Abwehr der Gewalt reiche nicht aus, notwendig seien vielmehr neue Initiativen für den Frieden und das Miteinander in einer globalen Welt, in der unterschiedliche Religionen Platz haben müssten, sagte er. In dieser Hinsicht sei "das letzte Jahrzehnt ein verlorenes Jahrzehnt gewesen".
Freiheits-Appelle an allen Orten
So wie der Bundespräsident appellierten auch Vertreter verschiedener Parteien, unverzagt für die Freiheit einzutreten. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte auf einer Gedenkveranstaltung im Roten Rathaus, die Attacke "auf unsere Freiheit und auf unsere Werte" hätten besonders die Berliner empfunden, da in der Stadt Werte wie Freiheit und Solidarität stark ausgeprägt sind. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) besuchte das US-Generalkonsulat in der Hansestadt und bezeichnete den 11. September als einen Symboltag für den Erhalt von Freiheit.
Der FDP-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler nannte die Angriffe eine "Tragödie der Menschheit". Doch habe sich dadurch auch der Wert der Freiheit bewiesen, sagte Rösler in Berlin. Ähnlich äußerten sich die Grünen. Eine offene Gesellschaft könne ihre Werte und die Freiheit nur verteidigen, wenn im Bemühen um Sicherheit nicht Bürger- und Menschenrechte aufgegeben werden, erklärten die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir.
Im bayerischen Vilseck kam es am Sonntag zu einer besonderen Gedenkfeier. Das in Vilseck stationierte 2. Stryker Kavallerie Regiment der US-Armee übergab der Bundeswehr ein Original-Trümmerteil aus dem zerstörten Word Trade Center (WTC). Das Artefakt soll Bestandteil eines Denkmals für die Opfer des 11. September in Oberviechtach werden, wo das Panzergrenadierbataillon 122 der Bundeswehr stationiert ist. Die bayerische Kleinstadt ist nach Angaben der Initiatoren der einzige Ort in Deutschland, der ein solches Trümmerteil aus dem WTC erhält.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies