■ Die USA scheinen den Terrorismus derzeit anzuziehen. Eine Nation von Opfern schlägt gegen sich selbst zurück: Amerikas Terror ist hausgemacht
In Austin, Texas, der Stadt meiner Alma mater, nutzte in den 60er Jahren der Blumenhändler gegenüber dem Campus seine Schrifttafel nicht zum Anpreisen seiner Ware, sondern zur Veröffentlichung von Sentenzen. „Die nächste Olympiade wird eine neue Sportart zulassen: Scheibeneinschmeißen bei amerikanischen Botschaften.“ Das war 1965, und die internationalen Proteste gegen den Vietnamkrieg hatten kaum begonnen. Die Haltung des konservativen, aber freundlichen Mannes ist typisch für das amerikanische Selbstbild. John Updike hat dieses Bild in seinem Rabbit-Romanzyklus in dem Gespräch zwischen Harry Angstrom und Charley Stavros über den Vietnamkrieg so beschrieben: „Wir haben ihnen praktisch angeboten, der verdammte 51. Bundesstaat der gottverdammten USA zu werden. Wir haben sie bekniet, eine Wahl zu inszenieren, und sei sie gefälscht. Und was machen die? Bomben schmeißen.“ – Amerika, der wohlmeinende, naive Riese, der trotz oder infamerweise gerade wegen all seiner guten Absichten und Taten angegriffen wird.
In der Verbrechensforschung nennt man das Viktimologie: das Studium von Verhaltensweisen, die zum Opfer prädestinieren. Amerika sieht sich als traumatisierte Nation. Dazu hat sein Entstehungsmythos als Zufluchtsort der Verfolgten ebenso beigetragen wie Bürgerkrieg, Weltkriege, Kalter Krieg sowie Korea- und Vietnamkrieg. Das Opfersyndrom aber ist gefährlich. Von der „Mit-uns-kann-man-es-ja-machen“-Haltung ist es nur ein kleiner Schritt zum aggressiven Ressentiment. So ist der erste Grund, warum Amerika Zielscheibe des Terrors wird, seine innere Haltung, die gleichermaßen zur Täterschaft wie zum Opfergang prädisponiert.
Nach den Bombenanschlägen auf das New Yorker World Trade Center 1993 und in Oklahoma City 1995 durchzuckte die Nation ein Reflex: islamischer Fundamentalismus. Über die Gründe, warum Amerika als Vorhut der Modernisierung und islamischer Traditionalismus auf Kollisionskurs zu sein scheinen, ist viel geschrieben worden. Auf die strategische Allianz zwischen beiden wird seltener verwiesen. Sie geht auf den Kalten Krieg zurück und hat ihre Wurzeln in der Gegnerschaft von Kommunismus und Islam. Daß der ganze Süden der damaligen Sowjetunion islamisch geprägt ist, spielte im Kalkül amerikanischer Strategen eine Rolle. Einer potentiellen Interessenübereinstimmung die Form militärischer Allianz zu geben bot sich nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan an. Die USA rüsteten die Mudschaheddin mit Waffen aus und schickten Berater sowie Freiwillige, die unter Amerikas arabisch- muslimisch-schwarzem Bevölkerungsanteil rekrutiert wurden. Merke: Wer mit dem Teufel paktiert, soll nicht meinen, daß der durch den Pakt zum Engel mutiert. Anders gesagt: Auch die Mudschaheddin hatten das Gefühl, mit dem Teufel zu paktieren, und haben um dieses Bündnisses willen ihre Ziele nicht aufgegeben. In den USA gibt es dafür ein schönes Sprichwort: Wer sich mit Hunden schlafen legt, soll sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufsteht. Amerika hat sich die Läuse des islamisch inspirierten Terrorismus selbst in den Pelz gesetzt.
Die andere Hälfte der Zange aber, in deren terroristischem Griff die USA sich derzeit zu befinden scheinen, ist so amerikanisch wie Apple-pie. Sie ist eine Kehrseite des American Dream. Die bizarre Regierungsfeindlichkeit der Militias, die nach der Bombe von Oklahoma City staunende Aufmerksamkeit erregte, ist nur der neurotische Ausdruck eines weitverbreiteten Unbehagens. Dieses Ressentiment gegen den Staat hat einen realen Grund. Der liegt in den Aporien von Grundbesitz, Mobilität, Rassismus und Steuerwesen.
Der Traum eines jeden Amerikaners ist das Eigenheim auf eigenem Grund. Das amerikanische Steuersystem und Kreditwesen ist ganz auf dieses Ziel ausgerichtet. Doch der Wert der Immobilie ist ständig bedroht, nicht nur von Erdbeben, Hurrikans und Tornados, sondern durch die Veränderung der ethnischen Zusammensetzung seines Umfeldes. In ganzen Stadtteilen verlieren Immobilien ihren Wert durch den Zuzug von Schwarzen und Hispanics. Die Reaktion der Weißen ist bekannt, sie ist unter den Stichworten „American Apartheid“ und „White Flight“ (weiße Flucht aus den Stadtzentren) bekannt geworden.
Das Spiel beginnt mit der räumlichen Segregation. Die schwarze Armut drängt sich in den städtischen Zentren zusammen, wo das Steueraufkommen sinkt, während die Weißen Enklaven am Stadtrand oder Exklaven außerhalb der Stadt bilden. Mit dem sinkenden Steueraufkommen aber verfallen die Dienstleistungen, die traditionell eine Stadt für ihre Bürger erbringt. Die New York Times hat soeben den Verfall Washington D.C.s beschrieben. Der Müll wird nicht mehr gesammelt, Straßen werden nicht mehr repariert, Baugenehmigungen nicht mehr erteilt, Schulen nicht mehr renoviert – und das in den weißen Enklaven der Stadt. Die Bürger greifen nicht ohne Bitterkeit selbst zu Schippe und Pinsel. Der nächste Schritt ist die Abspaltung des Viertels. Die Städte werden zu balkanisierten Gebilden. So gibt es beispielweise in den oberhalb Oaklands liegenden reichen Wohnvierteln Bestrebungen, ihren Stadtteil von der Mutterstadt abzuspalten. Wozu Steuern ins schwarze Oakland abführen, wenn man dafür nichts bekommt? Dieser Affekt gegen Stadt und Civitas ist der Keim antistaatlicher Haltung. Unterstützt wird er durch ein Steuerrecht, nach dem Schulen, Polizei, Feuerwehr ausschließlich Sache des lokalen Steueraufkommens sind.
Je weiter man sich von der Stadt entfernt, desto ominöser erscheint dieser Moloch aus Armut, Verschwendung und Ineffizienz. Stadt und Staat werden zum Abbild der mittelalterlichen Zwingburg, unter deren Knute das Land liegt. Stadt und Staat machen nicht frei, sondern versklaven das ganze Land.
Die (weißen) Täter, deren ökonomisches Handeln das Problem überhaupt hervorbringt, sehen sich als Opfer. Eine Nation von Opfern schlägt gegen sich selbst zurück. Das ist der Ursprung des amerikanischen Terrorismus. Reed Stillwater
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