■ Die US-Anti-Terror-Raketeneinsätze: Vom Blow-job zum Blow-up?: Eine hilflose Aktion
Noch nie hat ein US-Präsident solche Schwierigkeiten gehabt, einen Militärschlag der USA glaubhaft zu erklären. Bislang waren es nur die internationalen Verbündeten, die derartige US-Alleingänge – wenn überhaupt – nur zähneknirschend akzeptierten. Jetzt murren erstmals auch hochrangige US-Politiker, und zwar mit Argumenten, für die eine Friedensbewegung vor Dekadenfrist noch als antiamerikanisch beschimpft worden wäre. Clinton, so der erste, spätestens zweite Gedanke eigentlich aller, wolle mit den Angriffen auf Ziele in Afghanistan und Sudan lediglich von seinem innenpolitischen Problem ablenken. Wieder einmal: Das Stahlgewitter als Stärkungsbad? Oder diesmal: Der Blow-up nach dem Blow-job?
Das ist zu einfach gedacht. Die verheerenden Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania sind gerade erst zwei Wochen her. Eine US-Regierung, die auf so etwas nicht in irgendeiner Weise reagiert, gibt es nicht. Wollte man die „Wag the Dog“- Theorie wirklich aufrechterhalten – also die These, hier werde nach dem Vorbild des Hollywoodfilms eine außenpolitische Krise geschaffen, um von der präsidialen Sexaffäre abzulenken –, dann müßte man schon der Auffassung sein, auch die Bombenanschläge selbst seien bereits Teil dieses Plans gewesen. Und das traut Clinton nun doch kaum jemand zu.
Dennoch aber sind Gründe und Auswirkungen der US-Militäraktionen nicht ohne die innenpolitische Krise Clintons zu verstehen. Ob die Beweise gegen Ossuma Bin Laden, über die die US-Regierung verfügen will, stichhaltig sind, scheint doch arg zweifelhaft. Damit gerät auch die Begründung der – völkerrechtlich ohnehin bedenklichen – „Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr“ ins Wanken, die die Raketenangriffe gerade jetzt notwendig gemacht haben
soll.
Die Eile ist anders zu erklären. Die US-Regierung hat zur Zeit nicht die politische Kraft, Allianzen zu schmieden und zu führen. Ein Präsident, der im eigenen Lande ein Amtsenthebungsverfahren wegen Meineides befürchten muß und weltweit Gegenstand der beißendsten Karikaturen ist, dessen Autorität ist auch weltweit angeknackst. Der militärische Alleingang gegen Ziele, die mutmaßlich zur Terrorgruppe Ossama Bin Ladens gehören, ohne Absprache mit den westlichen Verbündeten und – im Falle Sudans – zur verärgerten Überraschung auch der Freunde in der islamischen Welt soll Handlungsfähigkeit zeigen, wo Hilflosigkeit herrscht.
Innenpolitisch völlig unumstritten ist in den USA freilich, daß es völlig legitim sei, mutmaßliche Basen von terroristischen Gruppen im Ausland zu bombardieren. Auch das Vertrauen, daß die US-Bomben schon die Richtigen treffen werden, wenn die Regierung sagt, daß es die Richtigen seien, scheint ungebrochen, genauso wie die Bereitschaft, immer wieder jemand Neues – diesmal: Ossama Bin Laden, früher Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi, Manuel Noriega... – als Verkörperung des Bösen schlechthin zu akzeptieren, gegen die jedes Mittel erlaubt sei.
Noch vor Monatsfrist hatten sich die USA vehement gegen die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes gewehrt, der in Fällen von Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit aktiv werden sollte, wenn nationale Justiz dazu nicht willens oder in der Lage sei. Der Versuch, Instrumente zu schaffen, um international rechtsstaatliche Prinzipien durchzusetzen, ist in den USA noch nie auf große Begeisterung gestoßen – mal, weil es gegen sie selbst ging, wie etwa 1986, als der Internationale Gerichtshof in Den Haag die USA wegen der Verminung nicaraguanischer Häfen verurteilte. Mal, weil die USA, um im Bild des Weltpolizisten zu bleiben, ganz gerne auch ohne richterliche Anordnung zu Hausdurchsuchung und Verhaftung schritten.
Mit den neuen Militärschlägen signalisiert die US- Regierung, daß sie sich von der Idee verabschiedet hat, Verbrechen wie die Bombenanschläge seien justitiabel, die Täter wie Kriminelle zu behandeln und vor Gericht zu stellen. Raketen abschießen heißt Krieg führen – und das heißt letztlich auch, Terrorgruppen als Kriegsparteien zu akzeptieren. Das dürfte solche Gruppen allerdings in ihrem Selbstverständnis nur stärken. Bernd Pickert
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