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Archiv-Artikel

Die Tradition hinter der Kulisse des Boulevards

In den beiden privaten Theatern am Ku’damm ist die leichte Muse zu Hause. Dennoch haben sie kulturgeschichtlichen Rang. Von Max Reinhardt Anfang der 20er-Jahre gegründet, waren sie ein Pfeiler des damaligen Nachtlebens

Die beiden Komödie-Theater am Kurfürstendamm stammen aus den 20er-Jahren. Damals war Berlins Broadway Schauplatz eines weltstädtischen Nachtlebens, das dem Jahrzehnt einen erheblichen Teil seines Images als „Roaring Twenties“ brachte. Es gab hier große Kinos, Kaffeehäuser, Tanzpaläste und Varietés, zum Beispiel das Nelson-Theater Ku’damm/Ecke Fasanenstraße, aus dem später das Astor-Kino wurde. Heute befindet sich dort der Tommy-Hilfiger-Flagship-Store – ein Verwandlungsschicksal, das inzwischen fast alle Kinos und Kaffeehäuser ereilte, die den Krieg überstanden hatten.

Mit Ausnahme eines Kinos erfüllen nur noch die beiden Komödienhäuser ihre ursprüngliche Funktion. Die Tatsache, dass hier die leichte Muse zu Hause ist, täuscht über den kulturgeschichtlichen Rang dieser Bühnen. Tatsächlich hat man es mit einem veritablen Erbe des Regisseurs Max Reinhardts zu tun, dem Berlin auch das Deutsche Theater und seine Kammerspiele verdankt. In den 20er-Jahren hatte es Max Reinhardt aus den Hochkultur-Gefilden in Mitte in den leichtlebigen Berliner Westen gezogen. 1922 beauftragte er den bedeutenden Theaterarchitekten Oscar Kaufmann zunächst, einen Saal zum Theater umzubauen. Das Gebäude war zuvor von der Künstlervereinigung „Berliner Secession“ um Max Liebermann, Max Slevogt, Leser Ury und Lovis Corinth als Ausstellungshaus genutzt worden. Zwei Jahre später baute Kaufmann daneben auch die Komödie am Kurfürstendamm.

In beiden Häusern wurden viele Jahre höchst erfolgreich Revuen und Boulevardstücke gespielt. Zum wichtigen Pfeiler des damaligen Nightlife avancierten besonders die Nachtrevuen von 23 Uhr bis 2 Uhr früh. 1933 wurde Reinhardts Theaterkonzern von den Nazis durch eine räuberische Steuerpolitik in den Bankrott getrieben. In den 30er-Jahren verwaltete dann Hans Wölffer die Häuser, der ursprünglich für die Gebrüder Rotter gearbeitet hatte, ein weiteres, von den Nazis in den Ruin getriebenes jüdisch-berlinisches Theaterimperium.

Nach dem Krieg baute Wölffer das Haus zur festen Größe in Deutschlands Boulevardtheaterszene auf. Hier spielten Harald Juhnke, Günter Pfitzmann und Co. Ihre Darbietungen litten freilich immer etwas darunter, dass die deutsche Unterhaltungskultur nach dem Verschwinden einer weltläufigen Boheme, jüdischer Künstler und vergnügungssüchtiger Großbürger stets ein wenig spießig blieb.

1974 übernahm Wölffers Sohn Jürgen die Direktion der Theater, die inzwischen sogar ihre Umbauung mit einer der größten Charlottenburger Abschreibungs-Bausünden, dem Ku’dammkarree, überlebt hatten – die historische Außenhaut fiel ihm jedoch zum Opfer. Auch die bauliche Substanz der Theater hat durch Krieg, Abschreibungs-Raubrittertum und Umbauten sehr gelitten. Ihr heutiger Leiter, der Wölffer-Enkel Wolf träumt davon, den Reinhardt’-schen Originalzustand wenigstens innen wieder herzustellen – sofern nicht die nächsten Raubritter kommen, um den Traditionstheatern endgültig den Garaus zu machen. Esther Slevogt