piwik no script img

■ VorschlagDie Suppenlina - Heinz Knobloch liest aus seinem neuen Buch

„Kuheuter wird mit reichlich Wurzelwerk und Salzwasser aufgesetzt und acht Stunden gekocht. Man kann vier Stunden am Tage vorher und vier Stunden am Tage des Gebrauchs fertig kochen. Sobald es gar ist, schneidet man es in zollgroße Stücke unter ein Fricassee, oder man schneidet es in Scheiben, die man wie Schnitzel paniert und als Beilage zum Gemüse gibt.“ Das Ganze gibt's auch in gebackener Version. Es stammt weder aus Helmut und Hannelore Kohls KochbuchFoto: Edition Hentrich noch von Bioleks Gästen.

Das etwas eigenartig anmutende Rezept findet sich in Lina Morgensterns Kochbuch, das um die Jahrhundertwende in vielen Haushalten zu finden war. Ein Bestseller, der heute gelegentlich noch antiquarisch zu haben ist. Wer aber verbarg sich hinter der Autorin, die alles andere als eine Köchin war?

Heinz Knobloch, real existierender Feuilletonist einstiger DDR- Presseorgane, u.a. der Wochenpost, und Biograph des aufklärerischen Philosophen Moses Mendelssohn, des „beherzten Reviervorstehers“ Wilhelm Krützfeld und der Mathilde Jacob, der engen Freundin Rosa Luxemburgs, hat die besten Rezepte daraus zusammen mit der Lebensgeschichte der Lina Morgenstern angerichtet. 1830 als Lina Bauer geboren, wurde sie von den Berlinern bald nur noch „Suppenlina“ genannt.

Vor dem Hintergrund des heraufziehenden Deutsch-Französischen Krieges entwickelte sie die Idee der Volksküche, deren erste 1866 eröffnet wurde, viele weitere folgten. Dabei ging es der fünffachen Mutter Lina Morgenstern keineswegs um Almosen und milde Wohltätigkeit. Sie war praktische Sozialpolitikern. Früh hatte sie einen Kindergartenverein gegründet, später kam ein Kinder-Schutzverein hinzu, der die Säuglingssterblichkeit bekämpfen sollte. Lina Morgenstern erwarb sich auch einen Ruf als Frauenrechtlerin.

Im Krieg pflegte sie schließlich nicht nur deutsche Soldaten, sondern auch Gefangene verschiedener Herkunft, was sie wiederum dem preußischen Militär äußerst verdächtig machte.

Heinz Knobloch setzt seine Biographie einer fast schon vergessenen „Menschenfreundin“ aus zahlreichen Fundstücken zusammen. Einmal mehr erweist sich Knobloch als Spurensucher in seiner Stadt, die er wie kaum einer sonst zu kennen scheint. Natürlich könnte man Knoblochs Buch den Freunden von Berlinalien einfach als Lesetip empfehlen, aber den behäbigen Erzähler und amüsanten Vorleser würde man dann verpassen. Heinz Knoblochs „Wiederbelebung einer Menschenfreundin“ ist nicht zuletzt die eines Stücks Berliner Stadtgeschichte. Harry Nutt

Heute, 19 Uhr, im Ev. Bildungswerk, Goethestraße 26–30, Charlottenburg, 6.5. in der Jüdischen VHS, 12.5. in der Kath. Akademie

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen