: Die Suche nach dem Glück endet in der Beratungsstelle
Die Zahl der Wettsüchtigen ist steigend. Viele Wettbürokunden hoffen auf schnelles Geld in harten Zeiten. Suchthilfeorganisationen begrüßen die Vorgaben des Karlsruher Urteils
BERLIN taz ■ Der Markt für Sportwetten boomt und verzeichnet zweistellige Zuwachsraten – auch dank der lahmenden Konjunktur. „In wirtschaftlich schlechten Zeiten versuchen mehr Menschen ihr Glück“, erklärt Werner Platz, Direktor der Abteilung Psychiatrie an der Universitätsklinik der Berliner Humboldt-Universität. Die Hoffnung auf das schnelle Geld treibe immer mehr Menschen in die Wettbüros und anschließend in die Suchtberatungsstellen. „Wir hatten hier Leute, die wollten mit Wetten ihre Schulden loswerden“, sagt Platz, „doch das klappt natürlich nicht.“ Die Entwicklung einer Spielerkarriere verläuft eher in die andere Richtung. Um die Verluste wieder auszugleichen, werden immer mehr Wetten abgeschlossen. Statt der erhofften Millionen stehen am Ende Schulden und zerrüttete Existenzen.
Der Prozess gegen den Schiedsrichter Hoyzer und die jüngsten Wettskandale haben nach Ansicht von Platz das Interesse an Sportwetten noch weiter gesteigert. Im Hoyzer-Verfahren hatte Platz das psychiatrische Gutachten für den „Wettpaten“ Ante Sapina erstellt. Dessen pathologische Spielsucht hatte sich für den Kroaten strafmildernd ausgewirkt. „Die besondere Gefahr beim Sportwetten liegt darin, dass man denkt, mit seinen Kenntnissen den Ausgang mitbestimmen zu können“, sagt Platz. Daher sei das Suchtpotenzial viel größer als zum Beispiel beim Lotto.
Eindeutige Zahlen zu Betroffenen gibt es nicht. Im Drogenbericht der Bundesregierung werden 80.000 Spielsüchtige genannt, der Fachverband Glücksspielsucht schätzt ihre Zahl auf 400.000. Der Anteil von Sportwettern ist dabei gering, steigt aber an. „Früher gab es in unseren Beratungsstellen nur einzelne Pferdewetter, inzwischen tauchen auch Oddset-Spieler auf“, sagt Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht. Mit einer weiteren Zunahme ist zu rechnen, da sich Spielsucht über mehrere Jahre entwickelt und erst spät Hilfsangebote in Anspruch genommen werden.
„Wir freuen uns riesig über das Urteil“, sagt Füchtenschnieder. Sie hatte zwar auf ein entsprechendes Signal gehofft, aber nicht erwartet, dass es so deutlich ausfällt. „Es ist ein bedeutsamer Schritt, dass nicht mehr finanzielle Interessen, sondern der Schutz der Spieler im Vordergrund stehen soll.“ Die vom Verfassungsgericht genannten aktiven Präventionsmaßnahmen hat der Verband lange gefordert. Besonders wichtig ist dem Verband dabei die Einrichtung einer unabhängigen Aufsicht, wie sie beispielsweise in der Schweiz mit der Eidgenössischen Spielbankenkommission eingeführt wurde. „Es ist wichtig, dass den Finanz- und Innenministern Einfluss entzogen wird, denn die verfolgen vor allem fiskalische Interessen“, sagt Füchtenschnieder. Im Jahr 2004 flossen aus den Einnahmen der staatlichen Lotto- und Wettanbieter 2,4 Milliarden Euro in die Haushalte und gemeinnützige Organisationen.
Füchtenschnieder lobt die Präventionsarbeit in Nordrhein-Westfalen. Dort fließt ein Teil der Oddset-Einnahmen in Hilfsprojekte für Spielsüchtige. Neben der Ausweitung von Hilfsangeboten ist die geforderte Eindämmung der Werbung zentral. „Da hat das Verfassungsgericht den Finger in die Wunde gelegt“, sagt Füchtenschnieder. Werner Platz hält Preiserhöhungen für die wirksamste Maßnahme, doch durch die Konkurrenz der Internetanbieter sind sie nur begrenzt möglich. „Wichtig ist, dass statt der bisherigen Lippenbekenntnisse nun echte Maßnahmen ergriffen werden“, so Füchtenschnieder, „dann kann man die Suchtprobleme zumindest regulieren, lösen lassen sie sich sowieso nicht.“
OLIVER VOSS