Die Streitfrage: Soll man gegen G7 protestieren?
Wenn die Chefs der sieben mächtigsten Staaten der Welt in Elmau tagen, werden viele Gegner erwartet. Die sind sich allerdings nicht ganz einig.
Schloss Elmau ist vorbereitet. 20.000 Polizisten werden im Einsatz sein, wenn die Regierungschefs der sieben mächtigsten Industrienationen am 7.und 8. Juni in Bayern aufeinander treffen. Gullydeckel werden verschweißt, Blumentöpfe von den Fensterbänken geräumt, das Luxushotel weiträumig abgesperrt. Die Sicherheitsbehörden rechnen mit gewaltbereiten Demonstranten aus ganz Europa, und hinterher soll keiner sagen können, man hätte nicht alles getan, was möglich ist.
Im Hinterkopf haben die Behörden dabei wohl die Blockupy-Proteste in Frankfurt am 18. März, als Polizeiautos brannten und über der ganzen Stadt dunkler Rauch hing. Und die Großdemos gegen den Gipfel in Heiligendamm 2007. Bei Kundgebungen im nahe gelegenen Rostock kam es damals zu Straßenschlachten zwischen Schwarzem Block und Polizei, Demonstranten gelangten am Tag des Gipfelbeginns in die Nähe des Absperrzauns und blockierten sämtliche Zufahrtsstraßen.
Heiligendamm 2007, das war aber auch: Ein großes Popkonzert mit Auftritten von Herbert Grönemeyer, Bob Geldof, Bono, den Toten Hosen und vielen mehr, „Music and Messages“ hieß es. Die Messages kamen dabei jedoch vielen Kritikern zu kurz. Es ging oft um ein diffuses Unbehagen damit, dass die sieben – damals noch acht – reichsten Nationen für sich in Anspruch nehmen, die Welt zu bestimmen.
Von wirklichen Inhalten war wenig zu hören, wurde im Nachhinein bemängelt. Bob Geldof etwa forderte weiter Geld für Afrika, obwohl die Wirkung der klassischen Entwicklungshilfe umstritten ist und afrikanische Experten längst einen Stopp fordern. Der Protest in Heiligendamm war für viele zu sehr Pop und Party und zu wenig Politik. Müsste man ähnliche Aktionen in Elmau also als reine Spaßveranstaltung ablehnen?
Giuliani starb mit 23
Dass der Protest gegen die Gipfel, egal ob nun mit oder ohne Russland, auch alles andere als Spaß sein kann, zeigten die Ausschreitungen in Genua im Jahr 2001. Am Rande des G8-Treffens in der italienischen Stadt gingen Globalisierungsgegner und Polizei aufeinander los, am Ende waren hunderte Menschen verletzt und ein Demonstrant tot.
Carlo Giuliani starb mit 23 Jahren, erschossen von einem Carabiniere. Die genauen Umstände sind bis heute nicht geklärt. Seine Eltern, Freunde und Unterstützer leiteten eigene Ermittlungen ein – und sie setzen sich für soziale Zwecke ein, finanzieren Fernadoptionen in Kambodscha, Brunnenbau in Burkina Faso und eine Ambulanz für Todkranke in Genua. Ist das nicht eher der richtige Weg, um Änderungen zu bewirken?
Willkommen in Elmau
Nächste Woche in Elmau wird tatsächlich kein großangelegter Protest erwartet. Massenmobilisierungen gibt es, soweit abzusehen ist, keine, auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen anderes vermuten lassen. Zuletzt wurde ein Protestcamp verboten: Ein Grundbesitzer hatte seine 7000 Quadratmeter Wiese als Zeltplatz angeboten, die Gemeinde gab keine Genehmigung. Zuvor hatten Nachbarn den Mann angefeindet: „Du bist schuld, wenn die uns die Häuser anzünden“, hieß es. Sollte man also jetzt erst recht demonstrieren?
Rehverscheuchungsgefahr
Die Gegner des G7-Gipfels sind gespalten. Die einen wollen die Veranstaltung stören, sichtbar, spürbar, so nah dran am Schloss wie möglich. Die anderen, obwohl gegen G7, wollen keine große Gegendemo. Schließlich liegt Elmau im Naturschutzgebiet. Protestcamps könnten Wiesen zerstören, die Demonstranten Rehe verscheuchen. Allein für die Betonierung des Hubschrauberplatzes sei schon genug Schaden angerichtet worden, heißt es etwa bei Grünen und Bund Naturschutz. Aber geht das überhaupt: Ein Demo, die nicht zu sehr stört?
Das Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht. Sollte jeder, der mit den G7 nicht einverstanden ist, davon Gebrauch machen? Oder sollte man der Natur zuliebe darauf verzichten?
Ist die Furcht vor Ausschreitungen gerechtfertigt, sollte man sich also lieber gleich fernhalten? Oder braucht man mehr friedliche Demonstranten als Gegengewicht? Seit Jahren gibt es Demonstrationen gegen die Gipfel – gebracht haben sie auf den ersten Blick wenig. Ist der Widerstand der Globalisierungsgegner also wirkungslos? Oder ist Veränderung möglich?
Soll man gegen G7 noch protestieren?
Diskutieren Sie mit! Wir wählen unter den interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlichen sie in der taz.am wochenende vom 30./31. Mai 2015. Ihr prägnantes Statement sollte nicht mehr als 400 Zeichen umfassen und mit Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie uns bis Mittwoch Abend eine Mail an: streit@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml