: Die Spiele der Gefühle
Heute gehen in Barcelona die IX.Paralympics zu Ende/ Viel Publikum, gute Stimmung und die fehlende Allgegenwart der Sponsoren prägten die Spiele der Behinderten ■ Aus Barcelona Olaf Dorow
Den Spielen des Kommerzes folgten die Spiele der Gefühle. Die Paralympics in Barcelona, die heute abend mit der Abschlußfeier ausklingen, haben gezeigt, wie ein olympisches Fest auch ohne totale Vermarktung à la Samaranch gefeiert werden kann. Mit einem Kostenaufwand von 150 Millionen Mark, einem Siebtel des gigantischen Etats der Olympischen Spiele, schaffte das COOB, als erstes olympisches Organisationskomitee zuständig für beide Veranstaltungen, die Umkehrung des Inszenariums: nicht Spiele für Sponsoren, sondern Sponsoren für die Spiele.
Lediglich ONCE, die mächtige nationale Blindenorganisation, brachte sich mit einem Barscheck als Hauptsponsor für die Spiele der Behinderten ins Geschäft, alle anderen stellten ausschließlich Equipment. So jagte in den zwei paralympischen Wochen im September nicht ein Sponsorenmeeting das andere, Sportlerinnen, Sportler und Publikum konnten „ungestört“ olympische Gefühle ausleben.
Die Stimmung, die sie inszenierten, übertraf alle Erwartungen. Tag für Tag pilgerten die Barcelonesen auf ihren Olympia-Berg und gaben den Paralympics jenes Fiesta-Flair, auf das selbst die Veranstalter nicht zu hoffen gewagt hatten. Die kilometerlange Schlange vor den Eingangstoren zu den Piscines Bernat Picornell, dem Schwimmstadion am Montjuic und das oft randvolle Estadi Olimpic ließen auch die deutschen Athletinnen und Athleten, die zu Hause nicht selten unter Ausschluß der Öffentlichkeit Leistungssport betreiben, nach großen Worten suchen.
„Vor so vielen Zuschauern zu laufen, das ist einfach ein Traum“, meinte Sprinterin Jessica Sachse stellvertretend für viele. Die Heidelbergerin, der der rechte Unterarm seit Geburt fehlt, hatte sowohl über 100, als auch über 200 Meter gewonnen. Horst Beyer, oberschenkelamputierter Diskuswerfer aus Simonswolde, sagte: „Das ist hier das I-Tüpfelchen. Seoul war schon toll, aber da waren die Zuschauer vom Staat bestellt. Und was den Service hier betrifft: vor zwei Jahren zur Weltmeisterschaft in Assen haben wir in Zellen gewohnt. Ich kann gar nicht verstehen, daß die deutschen Nichtbehindertensportler über die Bedingungen im Olympischen Dorf geschimpft haben. Aber die sind wohl Besseres gewohnt.“
Das sind sie in der Tat. Nicht nur, was die Medienresonanz betrifft. Das olympische Vorrundenspiel von Boris Becker verschlang mehr Sendezeit als die gesamte Paralympics- Berichterstattung in jener öffentlich- rechtlichen Anstalt, wo man immer in der ersten Reihe sitzt.
Besseres sind die nichtbehinderten Olympioniken auch in pekuniärer Hinsicht gewohnt: neun Millionen Mark standen dem deutschen NOK zur Finanzierung seiner Olympiamannschaft zur Verfügung. Ein Drittel des Etats wurde von Sponsoren in den Topf geworfen. Zahlen, von denen der Deutsche Behinderten-Sportverband (DBS) nur träumen kann. „Unser Hauptsponsor ist das Bundesministerium des Innern“, sagt DBS-Geschäftsführer Dieter Keuther. 1,3 Millionen Mark berappte Innenminister Rudolf Seiters für das mit 237 Athletinnen und Athleten zweitgrößte Team unter 86 teilnehmenden Nationen an den Paralympics. Lediglich ein Wirtschaftsunternehmen ließ sich zu einer Geldgabe hinreißen. 90.000 Mark bereicherten den BMI-Etat. Ein Etat, der in Zukunft nicht mehr ausreichen wird, um im Kampf gegen die weltbesten Behindertensportler mitzuhalten.
Nichtsdestotrotz: die paralympische Begeisterung von Barcelona wird auch dem Behindertensport in Deutschland einen Schub verpassen. Einen Schub in Richtung Gleichbehandlung mit dem Spitzensport der Nichtbehinderten. Die Frage, die sich automatisch stellt: Soll der Behinderten-Leistungssport danach streben, genauso zu sein wie der Leistungssport für die Athleten ohne Handicap?
Für Rainer Krippner, Präsident des DBS, ist der Weg klar. Er will die überalterten Strukturen seines Verbandes in Richtung professionelles Management umkrempeln. „Natürlich wäre es schön, die Spiele der Gefühle zu erhalten. Aber wir müssen Kompromisse eingehen. Wir müssen Schadensklassen zusammenlegen, wir werden bevorzugte Sportarten haben, es wird Manipulierungsversuche geben“, blickt er in die Zukunft.
Nicht alle Behindertensportlerinnen und -sportler wollen dem uneingeschränkt folgen. „Wenn das bei uns auch so ein Sponsorenspektakel wird, fände ich das total bescheuert“, meint der Neusser Udo Wolf, Goldmedaillengewinner im Mannschafts-Bogenschießen.
So hat Barcelona vielleicht die letzten Paralympics erlebt, denen der Urvater der Olympier, Pierre de Coubertin, noch ohne größere Gewissensskrupel zustimmen könnte. Die Stars verdienen sich (noch) nicht dumm und dämlich. Sie sind irdische Wesen und werden auch (noch) von den Medien als solche behandelt. Die Mäzene wie ONCE haben nicht ausschließlich den Eigennutz im Sinn, Fernsehsender aus Amerika bestimmen (noch) nicht den Programmablauf der Wettkämpfe. Die Manipulierungsversuche der Athleten müssen noch nicht mit einer riesigen Kontrollmaschinerie überwacht werden.
Jetzt, wo klar ist, daß die Wettbewerbe der Behindertensportler nicht in das Programm der Olympischen Spiele integriert werden, wo in Zukunft eine eigenständige Organisation, das International Paralympics Committee (IPC), das Pendant zum IOC bilden wird, bleibt abzuwarten, ob das IPC nicht zur Kopie seines großen Bruders gerät. Nicht alle würden es wünschen.
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