: Die Spannung sinkt
Alle zwei Wochen fällt der Strom aus ■ K O M M E N T A R E
Die Spannung im Netz sinkt, die Spannung vor den Fernsehschirmen steigt: Wird Dracula die Zähne noch in den Hals seines Opfers schlagen können, oder kommt ihm die Bewag zuvor und saugt der TV-Kiste den Saft aus den Adern? Ost -Berliner kennen das schon, jetzt leuchtet auch der Westen nicht mehr. Doch der Vergleich hinkt, Berlin ist kein Entwicklungsland. Nicht zu wenig Fortschritt treibt uns zurück zur Kerze: erst seit Reuter-West am Netz ist, gehen die Lichter aus.
Ein echter Fortschritt für die Umwelt und den Geldbeutel ihrer Kunden wäre es, würde die Bewag es aufgeben, kleine, dezentrale Blockheizkraftwerke zu blockieren. Doch sie huldigt einem speziellen Fortschritt: dem der blanken Größe. Da ist der West-Berliner Energiekonzern ein würdiger Nachbar des Perestroika-feindlichen Ost-Berlin. Die Tonnenideologie gilt und schafft sich ihre eigenen Sachzwänge. Große Kraftwerke bergen große Risiken, sie verlangen folglich neue große Sicherungen: mehr Kraftwerke, die als Reserve mitlaufen, einen Stromverbund, der den Atomstrom in die Stadt pumpt.
Auch von Glasnost hält die städtische Gesellschaft nichts. Mit der Begründung, diese Fragen interessierten ohnehin kaum jemand, lehnte die Bewag nähere Antworten zu ihrer jüngsten Panne ab - nichts Neues, nachdem sie sich mit denselben Worten schon weigerte, ihre Emissionsdaten zu veröffentlichen. Als Wirtschaftsunternehmen kann sich die Bewag solche Geheimnistuerei leisten, als Monopolunternehmen darf sie ihren Kunden schlechte Dienste zumuten. Souverän versöhnt die Gesellschaft Kapitalismus und Sozialismus: sie hat die Nachteile von beiden.
Hans-Martin Tillack
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