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Die Seelen der Tiere

Überspannte Empfindungen, schizophrene Expressionen und ein Universum aus schnüffelnden, jaulenden Nachtgeräuschen: Die freie Theatergruppe T1 spielt Jakob Michael Reinhold Lenz’ Dramenfragment „Catharina von Siena“ in den Sophiensaelen

von REGINE BRUCKMANN

Zwei junge Frauen: Sie quietschen, kieksen und raunen miteinander, teilen eine nervöse Nähe wie Mäuse oder Vögelchen. Freundinnen – voller Aufregung in Erwartung des noch frischen Lebens. Diese Situation von hoher emotionaler Intensität eröffnet einen Abend, der sich ganz dem überspannten Empfinden widmet. Bald werden die beiden Frauen auseinanderstreben, ihre eigenen Wege gehen. Catharinas wird mühsam sein und in die Einsamkeit führen.

Die freie Gruppe „Theater T1“ will keine geraden, fertigen Geschichten erzählen. Regisseur Thorsten Lensing formiert das Dramenfragment „Catharina von Siena“ zu einer Reihe von fieberhaften Zuständen. Jakob Michael Reinhold Lenz, Goethe-Freund, in seiner schizophrenen und sensiblen Expressivität wichtiger Protagonist der Sturm-und-Drang-Bewegung, schrieb Ende des 18. Jahrhunderts über die Heilige von Siena, die ausbricht aus den engen Verhältnissen des Elternhauses. Sie entgeht der ungewollten Heirat, sucht nach ihrem wahren Geliebten und findet schließlich das Göttliche in der Natur.

Aber Catharina (Ursina Lardi) ist hier keine Säulenheilige, sondern eine unruhig suchende Zweiflerin. Mit allen Sinnen strebt sie nach Gott und Seele, von Beginn an niemals klar, immer zerrissen: in ihrer Leidenschaft für Coreggio (Christoph Quest), in ihrer zärtlichen Freundschaft zu Laura (Brigitte Zeh), in ihrer Auflehnung gegen den strengen Vater. Ihre Hände fahren begeistert aus zur großen Geste, halten zögernd und widerstrebend inne. Almut Zilcher dagegen monologisiert in wilder Traurigkeit, Trotz und Duldsamkeit vermischend. Christoph Quest als Coreggio: ein untreuer Künstler, ein ichbezogener Schmerzensmensch mit heiter-naiver Miene. Ursula Renneke, ein Bauernmädchen: eine erdverbundene Gestalt, der unentwegt ein unsicheres Kichern entfährt. So hat jeder Darsteller eine in sich widersprüchliche, aber unveränderliche Haltung angenommen.

Gemeinsam treten sie auf der Stelle, ohne einander zu berühren. Alle Aktion ist verinnerlicht und aller Aufruhr ins Mienenspiel verlegt. Das Selbstgespräch wird zum Handlungsersatz, das Schauspiel zum Schattenboxen. Die Zerrissenheit ist bewusstes Gestaltungsprinzip der Inszenierung, aber die andauernde Hochspannung führt irgendwann zu ungewollter Erstarrung und Ermüdung. Dennoch ist dem Regisseur etwas Wunderschönes gelungen: Er hat eine Ebene geschaffen, in der Wort und Stille, Musik und Geräusche in quasi naturhafter Weise zueinander finden. Die große Einsamkeit der Figuren ist aufgehoben im Zusammenklang ihrer Emotionen mit den Rhythmen des Jazzschlagzeugers Willi Keller und den Lautakrobatiken Phil Mintons. Der Vokalist Minton erzeugt mit seiner Stimme ein ganzes Universum aus schnüffelnden und jaulenden Nachtgeräuschen. Sein Partner unterstützt ihn mit wirbelnd treibenden und dann wieder nur hölzern klackernden Trommelschlägen.

Die beiden Musiker geben der Natur, in der Catharina Inspiration und Erlösung sucht, eine Stimme und einen Klang. Ob Tiere eine Seele haben? Natürlich, denn hier können wir sie hören.

Nächste Vorstellungen: 16. bis 18. 3./23. bis 25. 3., 20 Uhr, Sophiensaele, Sophienstr. 18, Mitte

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