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Die Schlampe und der Engel

■ Jerry Zack bannt das Unvermeidliche in erstaunlich kitschfreie, aber stets appetitliche Bilder vom Altern: Marvins Töchter

Gelobet sei das Land, in dem Schauspielerinnen in Ruhe altern dürfen. Filme wie Marvins Töchter von Jerry Zaks versöhnen einen mit Schmu wie Zeit der Zärtlichkeit, mit der aufgerödelten Oma Shirley McLaine. Die Hollywood'schen Traumfabriken schaffen es immer wieder, ihre Sucht nach Schönheit und Perfektion, ihre Angst vor Krankheit, Verfall und Tod zu persiflieren (Der Tod steht ihr gut) oder, wie in Marvins Töchter, das Unvermeidliche in erstaunlich kitschfreie Bildern zu bannen. Der Realismus geht dabei nicht so weit, sich in unappetitlichen Details zu suhlen, allzuviel möchte man dem zahlenden Publikum nicht zumuten. Und zur biblischen Schuld-Sühne-Ätsch-Bätsch-Verquickung taugen Marvins Töchter auch nicht: das Schicksal schlägt höchst ungerecht zu.

Bessie (Diane Keaton) pflegt seit 20 Jahren hingebungsvoll ihren vollständig gelähmten Vater. Außerdem kümmert sie sich um ihre senile Tante Ruth. Und als sei das noch nicht genug, erkrankt Bessie an Leukämie. Die einzig mögliche Rettung ist eine Knochenmark-Transplantation, für die nur ihre Schwester Lee und deren zwei Söhne in Frage kommen. Auftritt von Meryl Streep als Schwester Lee: mürrisch macht sich die Frieseuse mit ihren zwei verhaltensgestörten Kids auf nach Florida, zu Bessie. Als Lee in die erstickende Atmosphäre dieses schwesterlichen Siechenhauses eintaucht, will sie gleich wieder die Flucht ergreifen. Die Schlampe und der Engel: die Kombination Keaton/Streep ist traumhaft. Diane Keaton entwickelt ihren in den Woody-Allen-Filmen skizzierten Charakter weiter und spielt eine lächelndes, verblühtes Wesen, das ein wenig tüdelig geworden ist, aber ein riesiges Herz besitzt. Meryl Streep gibt die kettenrauchende, prollige Frieseuse, die hinter ihrer Rauhbauzigkeit ihre Frustration verbirgt. Das Bindeglied zwischen den beiden wird Lees ältester Sohn Hank (Leonardo Di Caprio), den sie gerade aus dem Erziehungsheim abgeholt hat. Dort kam er hin, nachdem er Lees Haus in Flammen gesetzt hat. Man ahnt den Verlauf der Geschichte: Bessie und Lee kommen sich wieder näher, und auch der mißratene Sohn, der das Knochenmark spenden soll, wird geläutert. Doch die Versöhung gestaltet sich äußerst diskret und nur selten rührselig. Regisseur Jerry Zaks gelingt es in seinem Erstlingsfilm, Leute mit normalen Reaktionen zu zeigen, und so sind manche Szenen bei aller Tragik ausgesprochen komisch. Mit anzusehen, wie sich die beiden ungleichen Schwestern beschnuppern, um einen erträglichen Status Quo ringen und sich am Ende fast mögen, ist schlicht eindrucksvoll und bereitet großes Vergnügen.

Birgit Roschy

Abaton, Gloria, Passage, Studio

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