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Die Reise nach Miková

■ Absolut Warhola: Eine dokumentarische Humoreske auf Spuren von Andy Warhol

In einem hochprozentigen Poem besteigt Schriftsteller Wenedikt Jerofejew mit einem Koffer voller Schnaps in Moskau den Zug. „Die Reise nach Petuschki“ kommt nie an ihr Ziel. Petuschki verliert sich stattdessen in alkoholsiertem Delirium und findet sich in spontaner Weg-ist-das-Ziel-Zufälligkeit wieder.

In einem Jerofejewschen Paralleluniversum besteigt Regisseur Stanislaw Mucha mit seinem Filmteam ein Auto. In der Ostslowakei, nahe Polen und der Ukraine, irren sie umher. Verloren im ruthenischen Bermudadreieck. Fahrten durch Schneelandschaften: „Wo ist Medzilaborce, wo Miková?“ – „Immer geradeaus“, wissen drei Mütterchen. Nebelverhangene Straße. „Medzilaborce? Umdrehen, immer geradeaus“, weisen ein paar Männer den Weg. Ein sattgrüner Sommer zieht vorbei. „Miková? Oben, oben...“ Das Team tastet sich in ein postsozialistisches Irgendwo im Nirgendwo. Sind da Überreste oder Verwandte von Andrijku Warhola?

Petuschki von Stanislaw Mucha hört auf den Namen Andy Warhol, von den Ruthenen als ihr berühm-tester Landsmann vereinnahmt. Andrijku Warhola, der in Pittsburgh geboren wurde und als Andy Warhol Pop-Art erfunden hat. Ja, da sind noch Warholas, und da ist auch ein Birnbaum in Miková, der sich noch gut an Warhols Eltern erinnert. Und da waren zahllose Warhol-Pumps, die zerlaufen und zertanzt wurden. Da war ein Koffer voller Originale, die Andy den Verwandten schickte. Kunst, die sich zu Papiertrompeten für Kinder formte. Unbezahlbare Unikate verkoffert auf einem Dachboden. Sammlerträume – nach einer Überschwemmung weggeworfen. Doch keiner grämt sich über vertane Kunstschätze. Kunst ist, was man dafür hält. Und Kunst ist Überleben im arbeitslosen Alltag der Ostslowakei, Reichtum ohne Geld. Alltägliches wird Kunst, wie Campbell-Suppendosen oder der Schnellkocher der 90-jährigen Tante Warhols, Eva Prextová. Darin kocht das Wasser wie es grad will, manchmal auch gar nicht.

Das Warhol-Museum in Medzilaborce immerhin hält Warhols Arbeiten für höchste Kunst. Es verwahrt neben Devotionalien wie dem Taufkleid der Familie und Andys Brille auch einige Originale – vom Kurator bodenständig ausgewählt. Eimer fangen die Tropfen auf, die ihren Weg durchs löchrige Dach nehmen. Die Bilder hängen nicht. Warhols gedruckte Kuh wird erst aus dem Magazin geholt, dann Lenin auf rotem Grund und Absolut Vodka. Drucke mit Bezug zur Region. Motive, die den Menschen nahe stünden, wie der Kurator zartbitter bemerkt, beklagend, dass Leute locker zweihundert Kronen für Alkoholika ausgäben, nicht aber zehn Kronen fürs Billet. Dabei sei ein Museum doch auch ein geeigneter Ort um psychische Probleme zu bewältigen.

„Scheiß aufs Warhol-Museum!“, empört sich eine Romafrau. Und Recht hat sie, die Ausgesperrte. Denn Kurator Michal Bycko erklärt in rassistischer Verblödung, er verwehre niemandem den Eintritt, außer denen, die schlecht röchen, dreckig seien und klauten. Wen er meint, ist klar, und die Gemeinten erklären freimütig, Gold und Silber gäbe es dort doch gar nicht...

Was es aber allerorten gibt, ist Brennstöffchen: Wodka, Slivowitz, Selbstgebranntes. Da werden zahllose Schnäpse getrunken, damit es uns gut geht. Das Blut des Filmteams wird stetig promillisiert. Und dann: Man sagt ja, Andy sei „so einer“ gewesen. In ihrer unaussprechlichen Vagheit wird Homosexualität erst recht zur Sensation. Und mit dem Brustton einer Überzeugung, die nur Brennstöffchen vermitteln kann, meint ein Vetter, „so was“ habe es in Miková prinzipiell noch nie gegeben.

Dass „Absolut Warhola“ Lachen macht und Auslachen vermeidet, nie Freakshow, sondern respektvoll ist, sich selbst und den Pop-Art-Star nicht wichtig nimmt, einen Landstrich nahe bringt, der fast um die Ecke liegt und doch so fern scheint, verdient allerwärmste Empfehlung. Tim Gallwitz

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