Die Radsportsaison hat begonnen: Bekloppte wieder unterwegs
Gut gelaunt radelt die Radsportszene in die Saison. Andreas Klöden darf sich schon feiern lassen. Ein anderer deutscher Profi freut sich der Arbeit und schaltet bei ernsten Themen ab.
MONTELUPONE taz Wenn überall die Krise Einzug hält, fühlt man sich dort, wo die Krise bereits länger zu Hause ist, vergleichsweise besser. Im Profiradsport, Schmuddelsportart Nr. 1, herrscht beim Saisonauftakt gelassene Fröhlichkeit. Jeder, der einen Vertrag ergattert hat, freut sich, die alten Kumpels wieder zu sehen und die bekannten Prüfungen neu zu meistern.
Auch Fabian Wegmann genießt den Frühling. Der deutsche Meister, nach dem Aus von Gerolsteiner im Milram-Trikot unterwegs, erlebt den Auftakt seines neuen Arbeitszyklus in Italien. In der Toskana hat er die Eroica mitbestimmt und ist nur knapp geschlagen worden. Beim Etappenrennnen Tirreno Adriatico (noch bis 17. März) gehört er zu denen, die sich oft vorn zeigen. Es läuft bei der Arbeit, und es bleibt Zeit für die Erholung. "Vor ein paar Tagen haben wir uns nach dem Training in ein Café gesetzt, die Beine ausgestreckt und einen Cappuccino genommen. Da dachte ich: Mensch, haben wir es gut! Im nächsten Leben werde ich Radprofi", sagt der Blondschopf.
Von außen freilich sieht die Existenz eines Radprofis nicht immer traumhaft aus. Wie hatte Wegmann gekeucht, als die ca. 50 Mann starke Spitzengruppe die bis zu 22 Grad steile Steigung nach Montelupone auf der Königsetappe des Tirreno Adriatico hochgeklettert war. Es war härteste Fron. Die Rücken wogten hin und her. Ein Tritt in die Pedale verstärkte kaum den Rollimpuls des Rades. Er ähnelte eher einem Karateschlag, der für einen Moment das Kräftegleichgewicht verändert. Wegmanns Rennstallkollege Linus Gerdemann hatte für den extremen Anstieg später nur die Bemerkung übrig: "Das ist kein Radsport mehr." Weil sich Gerdemanns knapp 200 am Tirreno beteiligte Kollegen aber nicht nach der Radsportdefinition des Münsteraners richten, sondern in perfektem Herdentrieb den Vorgaben des Rennveranstalters folgen, wuchteten sich alle brav mit ihren Velos hoch.
Fabian Wegmann kam nach dieser Anstrengung minutenlang nicht vom Straßenpflaster hoch. Er kauerte neben seinem Rad. Alles Blut war aus dem Gesicht gewichen. Der Oberkörper pumpte. Vorbeiflanierende Touristen waren geneigt, den Notarzt zu holen. Aber einer wie Wegmann steckt das weg. Er schwang sich auf sein Rad - und legte die 40 km zum Teamhotel an der Adriaküste strampelnd zurück. "Man muss doch das Laktat aus den Beinen fahren", erklärte er munter. Der sportliche Leiter Jochen Hahn war begeistert. "Der Vorschlag hätte von mir sein können. Klasse, dass sie selbst darauf gekommen sind und die Moral hatten, es durchzuziehen."
Wegmann spekuliert beim Tirreno auf einen Etappensieg. Für den Gesamtsieg kommen eher der Schwede Thomas Lövkvist (Columbia) oder Astana-Kapitän Andreas Klöden in Frage. Klöden hat nach seinem überzeugenden Sieg beim Zeitfahren die besten Aussichten, seinen Triumph aus dem Jahre 2007 zu wiederholen. Für den gebürtigen Lausitzer ist der Tirreno allerdings eine der wenigen Gelegenheiten, mit voller Mannschaftsunterstützung auf Siegkurs zu gehen. Bei den großen Rennen heißt seine Aufgabe: Lücken schließen für die Armstrong, Contador und Leipheimer.
Auf - freilich etwas geringerem - Niveau gilt dies auch für Wegmann. Er soll bei der Tour de France Gerdemann bei der Eroberung des gelben Trikots unterstützen. Vorher will er bei den Klassikern einen Coup landen. Gelingt ihm dies, dann hängt der Himmel voller Geigen. Dass sein Berufsfeld nicht in jeder Hinsicht dem Paradies entspricht, weiß er. "Bekloppte gibt es immer", kommentiert er die Meldung über Gianni Da Ros. Der Jungprofi vom Team Liquigas wurde am Dienstag festgenommen, weil er mit Wachstumshormonen gehandelt haben soll. Auch dass er im Februar mit dem damals per DNA-Test frisch als Fuentes-Kunde Nr. 18 überführten Spanier Alejandro Valverde ins Rennen gehen musste, nimmt Wegmann hin. "Auch hier fahre ich gegen Leute, die bereits erwischt wurden. Beim Rennen schalte ich die Gedanken daran ab", sagt er. Der Traumberuf Radprofi weist neben Sonnenschein und Cappuccino doch noch einige Mängel auf.
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