piwik no script img

Die Posaune von Leverkusen

■ „Gott gibt die Nüsse, aber er beißt sie nicht auf“

„Hallo! HALLO! Ja, SIE! Gleich sitzen Sie ja wieder an Ihrer Schreibmaschine im Büro. ACHT STUNDEN LANG! Da machen Sie sich wohl Sorgen um Ihre Gesundheit? Zu Recht! Haltungsschäden und Krampfadern machen Ihnen zu schaffen. Dagegen MÜSSEN Sie etwas tun. Machen Sie doch ein paar Pausen zwischendurch, mit gymnastischen Übungen, und sagen Sie Ihrem Chef, daß er mitmachen soll.“

Die Leverkusener Ärztin Gisela Eberlein ist im Hörfunk -Gebiet des Süd-West-Funks eine Institution. Ihre halbminütigen Gesundheitsspots halten seit zwölf Jahren die LändlerInnen auf Trab. Resultat: Nur fünf Prozent Arbeitslosigkeit im Landesdurchschnitt.

Vielleicht ist das der Grund, warum der Norddeutsche Rundfunk das Frühprogramm des Baden-Badener Senders seit April diesen Jahres importiert. Zwischen vier und sechs Uhr werden die (un)freiwilligen Frühaufsteher Norddeutschlands jetzt immer „popfit“. Wenn dann um fünf Uhr zwanzig die Röhren des Radios anfangen zu dampfen, nähert sich die Sendung ihrem Höhepunkt: Frau Doktor Eberlein predigt „Gesundheitstraining für Gesunde“.

„Gott gibt die Nüsse, aber er beißt sie nicht auf“, freut sich die 74jährige über den Äther, und das findet sie gut so. „Krempeln Sie Ihre Ärmel hoch und recken und strecken Sie sich. Stellen Sie sich POSITIV ein.“ ermuntert die Predigerin ihre HörerInnen zur besten Sendezeit. „Sie haben ausgeschlafen. Es fehlt Ihnen nichts. Trotzdem sind Sie müde, mehr noch: antriebslos. Sprechen Sie sich zu: Ich schaffe es! Und noch einmal. Hallo! Ich schaffe ES.“

„Tüt, tüt, tüt, das Besetzt-Zeichen spricht“, und es verkündet „Sie sind vollkommen ruhiggelöstentspannt, ruhig, gelöst, entspannt.“

„Sie haben nicht gut geschlafen? Sie haben gegrübelt? Was macht das Grübeln mit Ihnen? Springen Sie ab vom Karussell des Grübelns!“ oder, bodenständig, „Gehen Sie mit Ihren Beinen aus der Angst.“

Nach der Frohen Botschaft von Frau Doktor ist jeder Frust wie weggeblasen. Und wer morgens um fünf Uhr zwanzig schon etwas anderes vorhat als Radiohören, sollte sich die Bibel des Gesundheitsengels in Buchform anschaffen. „Fröhlich wollen wir den Tag beginnen“ heißt das Gesundheitsevangelium mit 123 Gebeten zur Vertreibung des Alltagsteufels.

mad

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen