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Die PopVERMITTLERIN Dass in Brandenburg gar nichts los sei in Sachen Pop – davon kann für Franziska Pollin keine Rede sein. Das kreative Potenzial im Land sei durchaus da. Es müsse nur noch ein wenig gepflegt werden. Als Leiterin der Offensive Popularmusik sucht Franziska Pollin dabei auch den Austausch zwischen der Szene und Politik„Ich sehe mich als eine Art Dolmetscherin“

Interview Jens Uthoff Fotos Ksenia Les

taz: Frau Pollin, das Erste, was mir zum Thema Pop und Brandenburg einfällt, sind die Verse von Rainald Grebe: „Es gibt Länder, wo was los ist. Es gibt Länder, wo richtig was los ist. Und es gibt Brandenburg.“ Das klingt nach harter Arbeit für Sie, oder?

Franziska Pollin: Ich glaube, es ist nicht schwieriger als in anderen Bundesländern mit einer ähnlichen Infrastruktur wie in Brandenburg. Wichtig ist, dass man sich bewusst macht, welche Schwächen, aber vor allem auch Stärken es in der Brandenburger Musiklandschaft gibt. Die zu erkennen und dort anzusetzen ist eine Chance, die man nutzen sollte. Aus meiner jetzigen Erfahrung kann ich sagen, dass es in Brandenburg definitiv ein starkes musikalisches Potenzial gibt.

Zum Beispiel?

Ich habe festgestellt, dass wir eine sehr lebendige Festivallandschaft haben. Was in Berlin die Clubszene ist, das ist in Brandenburg die Festivallandschaft. Viele Clubbetreiber gehen im Sommer aufs Land und veranstalten dort Open-Air-Festivals. So kommen wir mit dem Genre Jazz zusammen auf über 50 Festivals pro Jahr, was schon eine Hausnummer ist. Und das hat eben auch Image- und touristische Aspekte für die Region. Uns ging es ja zunächst einmal um eine Bestandsaufnahme: Welche Aspekte lohnt es sich aufzugreifen, und bei welchen sagt man sich: Okay, da ist Bedarf, aber das kann man nicht mal eben aus dem Boden stampfen. Aber was ist auch vorhanden im Land? Womit kann man arbeiten?

Bei den Festivals ist es aber doch sicher so, dass die eine Woche lang vor Ort sind und dann wieder weg – und danach ist alles wieder so öde wie vorher.

Nicht unbedingt. Bei etwa einem Drittel der Festivals mag das so sein. Aber viele Veranstalter sind bereit, die Gemeinden mit einzubeziehen. Das „Alinae Lumr“-Festival in Storkow wird zum Beispiel von gebürtigen Storkowern veranstaltet, die nach Berlin gezogen sind und nun zeitweise wieder zurückgehen, um in ihrer Heimatstadt Kultur aufzubauen.

Die Subkulturen der Großstadt schaffen Satelliten in den Kleinstädten und Provinzen – könnte das ein Modell sein?

Absolut. Aber man muss den Gemeinden auch klar machen: Ihr müsst hier etwas machen, Ihr müsst Angebote schaffen, sonst besteht die Gefahr, dass ihr als Gemeinde oder Ortschaft womöglich „aussterbt“. Das Interesse, etwas in den abgelegensten Regionen auf die Beine zu stellen, gibt es ja: Die Macher des „Wilde Möhre“-Festivals in der Lausitz zum Beispiel haben es sich zum Ziel gesetzt, fast das gesamte Jahr über Programm zu machen. Das hat wichtige regionale Aspekte: Es gibt den Typen, der ihnen das Holz bringt, es gibt Essensstände, an denen die Leute vor Ort beteiligt sind.

Ihr Job umfasst aber ja mehr als nur die Festivalszene. Wofür ist die „Offensive Popularmusik“, deren Leiterin Sie sind, überhaupt da?

Derzeit sind wir ja noch im Aufbau. Das Projekt besteht ziemlich genau aus einer Person: mir. Aber mein Wunsch ist natürlich schon, dass daraus mal ein kleines Team wird. Ich brauche zum Beispiel Unterstützung für Social Media und die Homepagepflege. Mein Ziel ist es, dass wir zu einer Anlaufstelle für die gesamte Brandenburger Popularmusikszene werden, dass wir Beratung anbieten und ein Angebot schaffen mit speziellen Fortbildungen und Workshops – zum Beispiel zum Thema Fördermittelanträge. Ich wünsche mir eine Professionalisierung der Szene in Brandenburg. An kreativem Potenzial mangelt es nicht. Aber die Musikakteure und ihre Verwerter brauchen Unterstützung, wenn es um die bürokratischen Dinge geht. Zum Beispiel die Veranstalter – die müssen wissen: Was ist die Gema, wie muss ich mit der Gema umgehen? Wie mache ich Verträge mit Künstlern? Worauf muss ich achten, wenn der Künstler aus dem Ausland kommt?

Ihr Berliner Pendant – das Musicboard – hat einen Schwerpunkt mit der Künstlerförderung und mit Stipendien. Darum geht es bei Ihnen nicht?

Nicht primär. Insgesamt liegt der Bedarf in Brandenburg woanders, denn wir haben derzeit nicht diese Masse an Bands und Solokünstlern. Trotzdem möchte ich natürlich auch regionale Musiker fördern, die spannende und innovative Projekte machen. Wichtig ist mir zudem, mich für Regionalbühnen auf den angesprochenen Festivals einzusetzen. Wenn die Berliner schon herkommen und hier Festivals machen, dann möchte ich auch, dass Brandenburger Bands mit einbezogen werden und Auftrittsmöglichkeiten bekommen. Regionalität sollte dabei aber nicht vor Qualität stehen – wenn eine Band nicht gut ist, ist sie nicht gut. Und über mehr Künstlerförderung kann ich dann stärker nachdenken, wenn wir auch mehr Geld zur Verfügung haben.

Wie viel Budget haben Sie denn derzeit?

Franziska Pollin

Der Mensch: Franziska Pollin, 31, ist Leiterin des Projekts Offensive Popularmusik Brandenburg. Pollin ist in Stralsund aufgewachsen, studierte Europäische Medienwissenschaften und Museumsmanagement in Potsdam, Berlin und Kopenhagen. Drei Jahre arbeitete sie am Frankfurter Städel Museum und war dort für den Bereich „Bildung und Vermittlung“ zuständig, ehe sie nach Potsdam zurückkehrte, um das neu geschaffene Programm für Pop in Brandenburg mit aufzubauen.

Das Projekt: Die Offensive Popularmusik Brandenburg wurde vergangenes Jahr im Juni ins Leben gerufen, um die Musiker und Musikerinnen im Land Brandenburg zu vernetzen, zu fördern, zu beraten und der Musikszene eine Stimme zu geben. Das Projekt ist nicht an ein Ministerium angeschlossen, sondern Teil der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur. (jut)

Im Prinzip gibt es nur ein Budget für meine Stelle, die bei der LAG Soziokultur (siehe Kasten nebenan) angesiedelt ist. Im vergangenen Jahr gab es zusätzlich noch ein paar finanzielle Mittel für kleine Projekte. Die Fördermittel kommen zum Beispiel vom Brandenburger Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, vom Bund und von der Initiative Musik. Mit diesen schwierigen Voraussetzungen schaffen und unterstützen wir derzeit vor allem Netzwerkarbeit. In Zukunft strebe ich aber ein konkretes Budget für Workshops, Showcases und Veranstaltungen an.

Warum heißt es eigentlich „Offensive Popularmusik“, und warum verzichten Sie auf das einfachere Wort „Pop“?

Offensive daher, weil meine Stelle direkt aus dem Drängen der Brandenburger Musikakteure hervorgegangen ist. Die Szene war auf der Suche nach jemanden, der sich um die Belange der Popularmusik kümmert und den Akteuren eine Stimme verschafft. Und ob nun Pop- oder Popularmusik ist eher eine wissenschaftliche Auslegungssache. Mir als Vertreterin der Szene ist es wichtig, dass diese nicht mehr nur auf eine hedonistische Partycrowd reduziert wird. Die heutige Popkultur hat einen bedeutenden Platz in der Kunst- und Kulturszene eingenommen, die sich in den vergangenen Jahren professionalisiert hat und durchaus auch Arbeitsplätze schafft.

Machen Sie Ihren Job im Home Office?

Ich mache viel von zu Hause aus. Mit einem Nine to Five hat meine Arbeit ja wenig zu tun. Ich habe aber auch einen Schreibtisch im Büro der LAG Soziokultur. Oder ich gehe ins Rechenzentrum [ein Potsdamer Kreativzentrum, d. Red.) und arbeite dort.

Sie haben auch Musikprojekte in Kleinstädten wie zum Beispiel Elsterwerda angeschoben. Mich würde zunächst mal interessieren: Was sehen Sie, wenn Sie sich an diesen Orten umschauen?

Ich sehe… nichts (lacht). „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts …“ Oft ist man überrascht. In Elsterwerda zum Beispiel war ich negativ überrascht, die haben nicht mal ein Jugendzentrum. Es gibt de facto keinen Ort in dieser Stadt, an dem Jugendliche sich treffen können – außer auf der Straße. In anderen Städten wie zum Beispiel Mahlow war ich positiv überrascht, da saß ich mal in einer Jury bei einem Band-Contest in einem total gut ausgestatteten Jugendklub, die Butze, mit einem tollen Proberaum und kleinem Aufnahmestudio. Es gibt bezüglich der Ausstattung sehr große Unterschiede zwischen den verschiedenen Städten.

An manchen Orten auf dem Land scheinen die rechten Subkulturen auch die einzigen zu sein, die für Jugendliche anschlussfähig sind.

Das ist auf dem Land tatsächlich stärker verbreitet. Als wir in Elsterwerda ein Thema für das Projekt gesucht haben, sagte jemand, man könne doch eine Art Deutschrock-Camp machen. Ich meinte nur: „Nein, ich möchte hier kein Deutschrock-Camp machen. Lasst uns mal was anderes versuchen!“

Was haben Sie stattdessen gemacht?

Wir haben dort mit 32 Jugendlichen in den Winterferien ein HipHop-Camp veranstaltet. Wir hatten drei Workshopdozenten aus Berlin: den Vizeweltmeister im Beatboxen, Mando, einen Musikproduzenten und eine HipHop-Tänzerin. Das war ein kostenfreies Angebot für Jugendliche. In der Regel springt rund ein Drittel der Angemeldeten ab – dort war es aber kein Einziger. Alle waren total glücklich, sie konnten es gar nicht fassen, dass es da eine Woche lang HipHop gab und sie selbst Musik produzieren durften.

„Was in Berlin die Clubszene ist, das ist in Brandenburg die Festivallandschaft“

Wie haben Sie das finanziert?

Über das Programm Pop2Go, entwickelt vom Bundesverband Pop. Da geht es vor allem darum, Jugendliche, die in ländlichen Gebieten wohnen und die aus sozial schwachen Gebieten kommen, Popularmusik näherzubringen. Als wir zum Abschluss einen Auftritt mit den Teilnehmern des HipHop-Camps hatten, kam der Bürgermeister von Elsterwerda zu mir und fragte mich ganz begeistert, ob wir das nicht noch mal machen könnten. Klar, dass er das gut findet! Ich meinte zu ihm: „Wenn Sie mir ein Jugendkulturzentrum in Elsterwerda ranschaffen, dann mache ich das gerne noch mal.“ Das gefiel ihm dann schon wieder weniger.

Es fehlt vor allem an Räumen für die Jugendkultur?

Ja. Ich versuche mit Politikern zu reden und ihnen zu vermitteln, dass die Jugendlichen auch gerne selbst etwas aufbauen wollen. Die wollen keinen fertig aufgehübschten Jugendklub, der gelb gestrichen ist mit Blümchen an den Wänden. Die mögen es etwas abgerockt und ein bisschen oll. Dafür brauchen sie aber Räume, die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Die Politiker und Gemeinden haben natürlich immer Angst, dass die Jugendlichen irgendwas kaputt machen oder womöglich durchdrehen – dabei wäre es ja eigentlich auch gut, wenn sie mal ein bisschen durchdrehen würden.

Sehen Sie sich in der Vermittlerrolle zwischen Jugend-/Popkultur und Politik?

Ja, ich sehe mich als eine Art Dolmetscherin zwischen Politik und Akteuren. Das ist manchmal undankbar, aber wieder­um auch total spannend. Diese Sandwich-Rolle liegt mir. Ich sehe mich vorrangig als Vertreterin der Szene, als Lobbyistin für die Popularmusik. Ich bin ja keine Angestellte der Verwaltung oder des Ministeriums, sondern versuche mich einzusetzen für die Rechte der Musikszene.

Haben Sie selbst auch mal Musik gemacht?

Ich habe mal Schlagzeug gespielt im Jugendalter, vier Jahre lang. Ich habe mich selbst aber nie als Musikmacherin gesehen, sondern finde es spannender, neue Musikprojekte zu entdecken oder innovative Veranstaltungsformate zu unterstützen.

Franziska Pollin über die Jugend: Die Politiker und Gemeinden haben natürlich immer Angst, dass die Jugendlichen irgendwas kaputt machen oder womöglich durchdrehen – dabei wäre es eigentlich auch gut, wenn sie mal ein bisschen durchdrehen würden

Aufgewachsen sind Sie in Stralsund. Wie sehr hat Sie die Kleinstadtkultur geprägt und wie hilft Ihnen das in Bezug auf die Arbeit, die Sie heute machen?

Ich habe eine Faszination für kleine, selbst organisierte Projekte. Ich mag es, wenn die alternative Szene sich selbst organisiert, in Potsdam zum Beispiel im „Freiland“. In Stralsund gab es damals noch das „Garagenfestival“. Das haben Leute aus der Künstlerszene jedes Jahr am Hafen veranstaltet. Meine Eltern kamen einmal nach Hause und sagten begeistert: „Heute Abend haben die beim Garagenfestival Musik mit Staubsaugern gemacht! Total krass, hat sich super angehört.“ Diese zwei Wochen waren für die Kunst- und Musikinteressierten in Stralsund eine tolle Gelegenheit, um mal wieder über den Tellerrand schauen zu können.

Fühlen Sie sich der Berliner Clubszene auch verbunden?

Auf jeden Fall. Ich bin immer noch gerne in Berliner Clubs unterwegs. Ich habe da aber keine Stammclubs, sondern suche sie mir eher nach den DJs aus.

Warum leben Sie dennoch lieber in Potsdam als in Berlin?

Vielleicht ist das die Kleinstadtprägung. Ich mag es, wenn man auch mal Leute im Ort wiedertrifft, ohne dass man sich verabredet. Auch dass man mit dem Fahrrad alles erreicht. Wenn man Bock auf Berlin hat, fährt man halt nach Berlin. Aber danach bin ich auch froh, wieder raus zu sein.

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