: Die Polizeispur
■ Heute vor zehn Jahren wurde Olof Palme ermordet: eine TV-Dokumentation gerät zur Spekulation (20.45 Uhr, arte)
Kann sich wirklich jemand vorstellen, daß Schweden ein Land ist, in dem die Polizei den eigenen Ministerpräsidenten ermordet und wo die Mörder anschließend den Schutz aller politisch Verantwortlicher genießen können? Wer sich das nicht vorstellen kann und gerne sein positives Bild vom demokratischen „Musterland“ Schweden nicht in Frage gestellt sehen möchte, sollte sich „Mord in Stockholm“ nicht ansehen. Das Fazit des Films ist ebenso phantastisch wie aufgrund des vorgelegten Materials folgerichtig: Die Mordverantwortlichen muß man bei denen suchen, die die Gesellschaft eigentlich vor Verbrechen schützen sollen.
Die TV-Dokumentation von Klaus D. Knapp und Burkhard Nagel versucht, Vorgänge der Mordnacht, Hintergründe der Fahndungsarbeit und Thesen über die wirklichen Drahtzieher anhand von Zeugenaussagen und Interviews zu verbinden. Sie stützt sich aber vor allem auf Hinweise von sogenannten „Privatermittlern“. Eine bunte Schar, die oft mehr auf Glauben als auf Fakten vertraut. Doch einige von ihnen haben auch ernstzunehmende Spuren zusammengetragen, und sie führen zu einem rechtsradikalen Polizeisumpf mit Verbindungen in die Polizeiführung beziehungsweise dem Geheimdienst SÄPO.
Rechtsradikale Polizeiverschwörung?
Der Film setzt bei diesem rechten Polizeisumpf an. Er listet „Zufälligkeiten“ auf, wie die Anwesenheit auffallend vieler Polizeibeamter aus dieser Szene in der Nähe des Tatorts. Den Mannschaftswagen 3230, den Polizist „D“ angeblich dorthin gefahren hat, um sein Privatauto „umzuparken“. 150 Meter vom Tatort entfernt und genau an der Stelle, wo der Attentäter laut Zeugenaussagen einige Minuten später „wie vom Boden verschluckt“ verschwinden wird. Der Streifenwagen, dessen Besatzung eigentlich gar keinen Dienst hat und die am Tatort erscheint, noch bevor nach offizieller Zeitangabe Alarm ausgelöst worden war. Und immer so weiter: der Stadtbus der Linie 43, in den unmittelbar nach den Todesschüssen zwei abgehetzt wirkende Männer erst einsteigen, dann schnell wieder aussteigen. Nachdem sie im Bus sitzend den Gerichtsreporter Lars Krantz erkannt haben. Der sie seinerseits sicher als zwei Polizisten des „berüchtigten“ Norrmalm-Distrikts identifiziert. Einer trägt eine graublaue Plastiktasche in der Hand, und zwar eine solche, in der Zivilpolizisten sonst ihre Dienstwaffe tragen.
Die Autoren, die sich mit diesen Fakten auf dem Boden gesicherten Materials befinden, glaubten nun aber offenbar, die Geschichte der „Polizeispur“ rund machen zu müssen. Sie präsentieren ZeugInnen, aus deren Aussagen man schließen muß, der gesamte Weg des Ehepaares Palme in der Mordnacht sei von Dutzenden mit Walkie-talkies ausgestatteten Personen auf Schritt und Tritt verfolgt worden. ZeugInnen, die sich zum größten Teil erst lange nach der Tat gemeldet hatten, als die Presse von ersten Walkie-talkie-Beobachtungen berichtete.
Einen unsichtbaren Bruch von der Dokumentation hin zur bloßen Spekulation machen die Autoren bei der „Chamonix-Affäre“: Der Film suggeriert, Polizeichef Holmér habe sich mit dem schwedischen Botschafter in Paris, Lidbom, am Tatort aufgehalten, Lidbom sei nicht wie offiziell behauptet erst einen Tag später zusammen mit einem Sohn Palmes in einem Flugzeug der französischen Regierung nach Schweden gekommen. Das Mordkomplott, so suggerieren die Autoren, reichte bis in die Spitze des sozialdemokratischen Machtapparates. Doch die „Affäre Chamonix“ hat sich längst als Seifenblase erwiesen. Nicht zuletzt durch Aussagen von Palmes Sohn , der den Flug bestätigt. Die Geschichte wird den ZuschauerInnen trotzdem ohne Fragezeichen präsentiert.
Und mit noch einer Paralle wollen die Autoren den Bogen hin zum Nachfolger Palmes, Ministerpräsident Carlsson schlagen. Dieser habe seinen Rücktritt erklärt, nachdem auf dem Dach seines Hauses sich nachts zwei Personen getummelt hätten. War dies ein Warnsignal an Carlsson selbst? Können sich ohne Zutun der Sicherheitspolizei Unbefugte auf das Dach des Ministerpräsidenten schleichen?
Außenministerin in der Supermarktschlange
Sie können es. Schweden ist auch nach dem Palme-Mord kein Polizei- und Leibwächterstaat geworden. Man kann dort Ministerpräsident Carlsson mutterseelenallein und ohne Leibwächter in Stockholm begegnen, genauso wie hinter der Außenministerin in der Supermarktschlange stehen. Sich zu wenig mit dem gesellschaftlichen Umfeld vertraut gemacht, sich zu sehr auf einseitige Informationen gestützt und diese nicht kritisch eingeordnet zu haben, muß man den Autoren dick ankreiden. Für einen schwedischen Zuschauer – auch einen solchen, der die „Polizeispur“ gerade für kein Hirngespinst hält – lösen weite Teile der Dokumentation aufgrund dieser Mängel daher nur noch Kopfschütteln und Irritation aus.
Umso mehr, wenn unrichtige Behauptungen verbreitet werden, wie die, alles werde unter den Teppich gekehrt, Polizeichef Holmér würden keine Fragen gestellt: Holmér kneift in Wirklichkeit vor keiner Diskussion und beteiligte sich erst an diesem Montag wieder an einer Live-Diskussion im Fernsehen, die sich überaus kritisch mit seiner Rolle beschäftigte.
Dem Film hätte Mut zur Lücke und ein Offenlassen der Suche nach den – nach wie vor im dunkeln liegenden – letzten Verzweigungen der „Polizeispur“ gut getan. Daß er mit Gewalt einen Deckel auf den Topf setzt und auf der anderen Seite wichtige Ergebnisse der Ermittlungsarbeit in den letzten zwölf Monaten nicht einarbeitet, macht ihn trotz guten Ansatzes zu einem ärgerlichen Produkt. Reinhard Wolff, Stockholm
Der Film wird auch am 6. März in der ARD gezeigt (21.45 Uhr).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen