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Die Politik in Berlin nach WulffWetterleuchten für Schwarz-Rot

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Wahl eines neuen Bundespräsidenten die Koalition in Berlin beeinflusst. Derzeit spricht demnach alles für eine Große Koalition.

Farben, die vielleicht in Kombination wieder in Mode kommen: Schwarz und Rot. Bild: hugo333 / photocase.com

D rei Stunden bevor der Bundespräsident zurücktrat, sagte der Grüne Jürgen Trittin etwas Ungewöhnliches. Wulff solle doch sein Amt ruhen lassen. Keine donnernde Rücktrittsforderung, kein Frontalangriff auf den CDU-Mann, den immerhin die Staatsanwaltschaft im Visier hat. Dass Trittin, sonst für parteipolitische Rempeleien durchaus zu haben, so sanft redete, war kein Zufall.

In dem Präsidenten-Suchspiel, das nun läuft, sind die Grünen eher Nebendarsteller. Wer der nächste Bundespräsident wird, entscheiden Sozialdemokraten und Christdemokraten. Natürlich muss die Union jetzt ganz nett zur FDP sein, die SPD muss ganz deutlich zeigen, dass sie es nie zulassen wird, dass Merkel Rot-Grün spaltet. Doch wer BundespräsidentIn wird, das knobeln Union und Sozialdemokraten aus, nicht Trittin und Rösler.

So sieht es aus, das Wetterleuchten der großen Koalition. Bundespräsidenten-Wahlen haben in der Bundesrepublik schon öfters vorweg genommen, was sich machtpolitisch später realisierte. Heinemann war 1968 der Vorschein der sozialliberalen Koalition und des Endes des CDU-Staates. Köhlers Wahl verdeutlichte 2004 die Agonie der späten Schröder-Ära und nahm den Sieg von Schwarz-Gelb vorweg.

Bild: taz
STEFAN REINECKE

ist Parlamentskorrespondent der taz.

Nun muss, was früher so war, nicht wieder so werden. Aber es gibt noch mehr Zeichen, die andeuten, dass Große Koalitionen in Mode kommen. In Berlin beharkten sich Grüne und SPD mit solcher Inbrunst, dass Wowereit lieber mit der CDU regiert. Im Saarland haben sich SPD und CDU faktisch auf ein Bündnis festgelegt - egal wie die Wahl im März ausgeht. Zieht man landespolitische Eigenheiten ab, die immer den letzten Auschlag geben, tritt ein Muster hervor: In Krisenzeiten wirkt eine Art Magnetismus der Mitte.

Linke Selbstblockade

Wenn man durchspielt, welche Koalitionen nach der Bundestagwahl 2013 möglich sind, ist das Ergebnis ernüchternd. Rot-Rot-Grün ist ausgeschlossen, weil SPD und Linkspartei einen Abnutzungskrieg gegeneinander führen. Das ist bedauerlich, weil dieser Regierung am ehesten eine energische Regulierung der Finanzmärkte zuzutrauen wäre. Doch die Selbstblockade der deutschen Linken, die 2005 noch als etwas Temporäres, Veränderliches erschien, ist in kalter Routine erstarrt.

Schwarz-Grün ist nach dem Scheitern in Hamburg und Saarbrücken in die Ferne gerückt. Es bleiben zwei realistische Möglichkeiten: Rot-Grün und die Große Koalition. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass Rot-Grün sich als nach vorne drängende Reformregierung präsentieren wird, die selbstbewusst nach der Macht greift, um endlich den Mehltau der Merkel-Ära zu vertreiben. Der ansonsten rauflustige Sigmar Gabriel hat - eineinhalb Jahre vor der Wahl! - schon die Losung ausgegeben, die SPD werde keinen Wahlkampf gegen Merkel machen.

Dazu passt, welche Kandiaten die SPD in petto hat. Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier sind für Wahldesaster historischen Ausmaßes verantwortlich. Höhepunkt beider Karrieren war, dass sie unter Angela Merkel Minister sein durften. Es wird nicht einfach, dem Publikum mit diesem Personal die Dringlichkeit eines Regierungswechsels vor Augen zu führen. Bei der Wahl zwischen Steinbrück und Merkel geht es weniger um die Alternative links oder rechts, mehr Staat gegen mehr Markt - sondern eher um die Frage, ob man lieber von jemand mit schlechter oder guter Laune regiert wird.

Pragmatismus der Macht

So strebt alles, wie von unsichtbarer Hand geschoben, in die Mitte. Und dort schwebt die Kanzlerin über allem. Man staunt gar nicht mehr, wie es ihr gelingt stürzende Bundespräsidenten und halsbrecherische Wendemanöver wie den Atomausstieg zu überleben. Egal, was geschieht, am Ende nutzt es ihr. Das ist kein Zufall, sondern das Bewegungsgesetz der postideologischen bundesdeutschen Politik. Merkel praktiziert einen freundlichen Machtpragmatismus, eine Art Sozialtechnologie mit menschlichem Antlitz. Opportunismus ist in diesem Konzept kein moralischer Makel mehr, sondern die Fähigkeit, geschickter und schneller als andere das Unabänderliche zu erkennen.

Wir werden von einer präsidialen Konsens-Kanzlerin regiert. Wir werden bald offenbar von einem Konsens-Bundespräsidenten repräsentiert. Die Große Koalition 2013, mit eifrigen sozialdemokratsichen Ministern und unter der weisen Führung von Angela Merkel, wäre da nur eine logische Folge. Die Mitte war schon immer der mythische Ort bundesdeutscher Politik, zu dem fast alle streben. Aber so mächtig, so raumgreifend, so metastasenartig war die Mitte selten.

Schutz in der Masse

Wenn Gefahr droht, suchen Lebewesen oft Schutz in der Masse. Das ist eine Art atavistischer Reflex - für Demokratien ist das allerdings keine nützliche, sondern eine gefährliche Antwort auf Bedrohungen. Demokratien brauchen Rede und Gegenrede und den offenen, harten Streit zwischen Interessensgruppen. Sie brauchen nicht Feindschaft, sondern die in Formen zivilisierte Gegnerschaft. Wenn eine Demokratie dauerhaft keine Alternativen hervorbringt und den Bürgern nur noch die Wahl zwischen dem fast Gleichen bleibt, läuft sie leer. Sie schrumpft zur Verwaltung von Sachzwängen.

Die Wahl ist das Schlüsselereignis der parlamentarischen Demokratie, in dem die Bürger die Macht delegieren. Wenn aber die Regierung, wie nun im Saarland, eigentlich schon vor der Wahl festzustehen scheint, wird dieser Akt hohl. Die Politik ist derzeit bedroht, mehr als sonst. Sie scheint in der Krise des globalen Finanzkapitalismus Reputation und Rolle zu verlieren. Die Staatenlenker wirken oft wie hilflose Versicherungsvertreter, die - immer zu spät, nie ausreichend - die Schadensfälle begleichen müssen, die die Finanzmärkte hinterlassen.

Gerade in dieser Lage müsste Politik zeigen, dass es um mehr als den Vollzug des Unabänderlichen geht und Alternativen zur Wahl stehen - soziale und elitäre, eher linke, eher rechte. In Merkels Gemütlichkeits-Republik läuft die Konsensmaschine störungsfrei. Die Opposition arbeitet konstruktiv mit. Alle Widersprüche scheinen rundgeschliffen. Und Angela Merkel scheint zur ewigen Kanzlerin zu werden.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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12 Kommentare

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  • V
    vic

    Seit es in BW die WASG gab, wähle ich links. Im Land und im Bund.

    Eine große Koalition wird mir also ebenso von anderen aufgezwungen wie schwarz/gelb.

    Wer sie sie nicht will, darf sie nicht wählen.

    Anne schrieb es bereits.

  • A
    Anne

    In einem Satz ausgedrückt, WählerInnen, die auf eine große Koalition keinen WErt legen, dürfen eben weder CDU noch SPD wählen.

  • A
    Anne

    Ist ja nun nicht so, dass die Wähler dem schutzlos ausgeliefert werden.

    Sie könnten es ja bestrafen, indem sie mit den Wahlergebnissen CDU und SPD hinrichend marginalisieren, dass es für eine große Koalition einfach nicht reicht.

    Ich hege in der Richtung zwar auch keine Hoffnungen... aber so ein "Die Demokratie geht den Bach runter"-Artikel ohne den Hinweis, dass es immer noch die Wähler sind, die das ermöglichen, ist das Letzte.

     

    Tja, nicht nur Politiker wollen gewählt, auch Zeitungen wollen gekauft werden. Allzu viel Klartext reden kommt da in beiden Fällen nicht gut an.

  • D
    docvonstock

    Für die Bundestagswahl darf es nur ein Ziel geben: die 2/3 - Mehrheit der CDU/SPD-Koalition zu verhindern. Andernfalls kann der noch in Resten bestehende "demokratische Rechtsstaat" zu Grabe getragen werden. Wir haben dann wie in Russland eine "Putinokratie", in der die Regierung weisungsgebunden an die Oligarchen ist. Mit der 2/3 Mehrheit kann dann das Grundgesetz nach Belieben gebeugt und am Ende völlig abgeschafft werden. Die bereits jetzt umfangreichen Rechtsbrüche werden dann zum Normalfall verkommen.

     

    Das bedeutet also, besonders die kleinen Parteien zu stärken. Wer anders handelt, darf sich dann anschließend nicht mehr über die Diktatur des Kapitals beklagen.

  • AE
    asoziale Einheitssoße

    CDU,FDP,SPD,Grüne - das ist doch seit langem alles eine neoliberale Soße. Wer von diesen durch Lobbyisten geschmierten Parteien regiert, ist doch letztlich nur graduell relevant.

     

    Alternativen hat nur DIE LINKE anzubieten, gerade in der Finanzkrise. (Auf Berliner Landeebene war die LINKe allerdings auch eher schlecht und hat sich zu einer gesichtslosen Manövriermasse von SPD-Wowereit degradieren lassen).

     

    Genau deshalb, damit nicht auffällt wie gut DIE LINKE eigentlich inhaltlich ist, wird DIE LINKE von den anderen Parteien gemobbt und darf jetzt auch bei der Besetzung des Bundespräsidenten-Postens nicht mitreden. Merke:

    Man mobbt nur Leute, die man kalt stellen will.

     

    SPD und Grüne sind dermaßen opportunistich, das einem nur schlecht werden kann. Sie sind immer noch auf ihrem asozialen Agenda 2010 und Hartz IV-Kurs samt den politkerInnen-Darstellern von damals. - inhaltlich ist da kaum ein Unterschied zu Schwarz-Gelb.

     

    Die SPD hat sich seit ihrem historischen Wahltief 2009 - mit Steinmeier als Super-Kanzlerkandidaten - Looser kein bisschen nach links bewegt. MdB Ottmar Schreiner ist heute der einzige verbliebene Sozialdemokrat in der SPD. Die anderen könnten gleich alle geschlossen in die CDU eintreten. bei den Grünen sieht es kaum besser aus.

  • M
    mdarge

    @Ulrike Grunow, Gabriel, [] wollen wir den als Kanzler? Mindestens eher als den intriganten F-W Steinmeier! Wenn der Kanzler wird, haben wir Schröder-Zwo an der Regierung. Nur mit noch mehr Gekungel mit der Industrie. Sigmar Gabriel hat stets das richtige Wort gefunden und gehalten, was er gesagt hat.

     

    Um Denkblockaden zu lösen kann nur Gesine Schwan weiterhelfen.

  • T
    thbode

    Ablles scharwenzelt nur "in der Mitte" herum, und versucht dort mit seinem breiten Hintern möglichst viel Sitzfläche abzudecken.

    "Keine Experimente", das scheint das Motto zu sein. Ist es Angst, nackter Opportunismus, Mangel an Fantasie?

    Das schafft eine seltsame Atmosphäre, da mit Händen zu greifen ist dass die Finanzindustrie geregelt werden muss, und auch der Umgang mit den 10 Millionen im Land, denen es nach wie vor mies geht. Trotz Export-Rekorden und Boom.

    Und - das Land ist keine Insel der Seligen - was, wenn hier spanische Verhältnisse einziehen?

     

    Dabei gibt es Occupy, Die Linke, die Piraten, Attac und sogar progressive Unternehmer wie Götz Werner. Es gibt einen einen H. Geissler der immer wieder, wenn auch matt, mahnt. Es gibt frische Ideen. Aber Merkel, Gabriel, Steinmeier und Co. schieben die gemeinsam mit ihrem A... in die Ecke wo ihnen die Luft wegbleibt.

  • V
    vic

    CDU-SPD (die ist nicht rot) ab 2013 ist längst klar.

    Die Begeisterung der Deutschen für Merkel ist durch nichts zu erschüttern. Die SPD muss froh sein, wenn sie mitmachen darf.

  • MN
    Mein Name

    hmm ... Schwarz Rot ... ist doch eigentlich schon länger klar ...

     

    Bei der nächsten Wahl fliegt die FTP raus.

    Für Rot Grün wirds nicht reichen - wegen den Piraten

    Rot Grün Orange wird nicht gehen - da würde die SPD doch ihr "Gesicht" verlieren

    Schwarz Orange wird es niemals geben

    und mit den Die Linke will von den Großen eh niemand spielen ...

     

    Bleibt noch Schwarz Rot - dabei ist die BP-Frage nur interessant wer von den beiden Hirni-Parteien sich intern stärker durchsetzt ...nach außen wird das ja wie immer eine Person des Volkes ... das kenn wa ja nun

  • UG
    Ulrike Grunow

    Ich stimme Ihrer Meinung in allen Punkten zu. Frau Merkel geht auch aus den von ihr selbst verursachten Krisen (Atomwende, Wulff, Euro-Rettungs-Schlingerkurs etc.) laut Meinungsumfragen gestärkt hervor. Es liegt wohl daran, dass es zu ihr keine Alternativen mehr gibt, denn alle Konkurrenten sind weg. Und in der SPD sind Steinbrück und Steinmeier in der Tat auch bereits verbrannt. Bleibt nur Gabriel, aber wollen wir den als Kanzler? Doch bitte nicht. Also bleibt nur Merkel. Das erinnert mich fatal an die Ära Kohl.

  • C
    Copieur

    Der ansonsten rauflustige Sigmar Gabriel hat - eineinhalb Jahre vor der Wahl! - schon die Losung ausgegeben, die SPD werde keinen Wahlkampf gegen Merkel machen.

     

    Und Berlin ist in dieser Sache schon ein trauriges Vorbild.

     

    Die SPD hat sich ausgerechnet mit der Partei koaliert, die sie jahrelang mittelbar und auch unmittelbar angegriffen hatte. Ich denke insbesondere an die Agitation um Tempelhof sowie um das Schulgesetz. Die Unterstützung der Grünen und der Linken beim Volksentscheid wurde im Gegenteil gar nicht belohnt.

  • U
    unsisono

    Gott behüte uns vor solch einer Kapitalhörigen Eintracht-Regierung. Den Mist hatten wir doch schon mal. Herausgekommen war dabei nichts. Was unterscheidet die SPD überhaupt noch von FDP und CDU? Alles nur gekaufte Palaver-Köpfe.